Rheinmetall - Waffentechnisches Taschenbuch

April 22, 2017 | Author: rh | Category: N/A
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3.,

überarbeitete Auflage 1977

Alle Rechte Vorbehalten. Copyright 1977 by Rheinmetall GmbH, Düsseldorf. Rheinmetall GmbH, Postfach 6609, 4000 Düsseldorf Entwurf und Gestaltung riw-Rheinmetall Industriewerbung GmbH, Düsseldorf. Gesamtherstellung Brönners Druckerei Breidenstein KG, Frankfurt a. M.

Q

R H E IN M E T A L L

Waffen­ technisches Taschen­ buch

Autoren (verfaßte Kapitel oder Abschnitte) und Mitarbeiter G. Backstein (13), P. Bettermann (14), B. Bisping, D. Böder (8.1.6, 8.1.7, 8.1.8, 10), Dr. S. v. Boutteville (9), H. Dechow, A. Fabry, S. Fischer, F. Flanhardt (7), E. Genter, Dr. R. Germershausen (1,2, 12), H. Großschopf, K. Harbrecht (7), H.-D. Harnau (13), F. Horn (8 , 10), J. Hornfeck, H. Kantner, D. Karius, Dr. E. Kokott (6), W. Kuppe ( f ) (6), Dr. K.-F. Leisinger, F. Mayer (14), Dr. E. Melchior (2,3,15), M. Moll, J. Prochnow (11.5), H. Renner (f), H. Reuschel (3 ,4 ,5 ), R. Römer (11), W. Röttges, H.-J. Rübsam, E. Schaub, H.-J. Schiewer (5), D. Schuh, F. Woyt (f). G e s a m tle itu n g : D r. R. G e rm e rsh a u se n L e k t o r a t u n d R e d a k tio n : E. S ch a u b

Vorwort Das „Waffentechnische Taschenbuch" schließt an die Tradition des in früheren Jahren von unserem Hause herausgegebenen „Taschenbuch für den Artilleristen" an, das zuletzt 1961 als Nachdruck in einer 6 . Auflage erschienen ist. Da das alte „Taschenbuch für den Artilleristen" in seinen wesentlichen Teilen vor einigen Jahrzehnten entstand, war es für eine Neuerscheinung natürlich erforderlich, die Darstellung der angesprochenen Sachgebiete neu zu bearbeiten, um dem Fortschritt auf vielen dieser Sektoren gerecht zu werden. In diesem Zusammenhang haben wir uns auch für den allgemeineren Titel „Waffentechnisches Taschenbuch" entschlos­ sen. Selbstverständlich kann und w ill auch das neue Taschenbuch keinen Anspruch auf vollständige Behandlung der einzelnen Sachgebiete von den Explosivstoffen über die verschiedenen Teile der Ballistik, die Munition, die Geschütze, die Raketen bis hin zu den Feuerleitanlagen erheben. Vielmehr wurde versucht, eine gewisse Übersicht über ver­ schiedene Bereiche der Waffentechnik zu geben, die einerseits den Fachmann, insbesondere auch den Praktiker, andererseits den an den letzten technischen Einzelheiten weniger Interessierten anspricht. Her­ ausgeber und Autoren sind sich darüber im klaren, daß diese Absicht nur begrenzt verwirklicht werden konnte. Die einzelnen Kapitel des Taschenbuches sind von den Fachleuten unseres Hauses über mehrere Jahre hinweg zusammengetragen worden. Soweit in den Texten auf Berechnungsverfahren eingegangen wurde und damit physikalische Größen angesprochen sind, wurden diese teilweise noch im „Technischen Einheitensystem" angegeben. Unter Berücksich­ tigung des „Gesetzes über Einheiten im Meßwesen" (Bundesgesetzblatt 1969, Teil I, Nr. 55, und 1970, Teil I, Nr. 62) ist jedoch in den zuletzt entstandenen Kapiteln bereits das auch in der Waffentechnik noch ungewohnte „Internationale Einheitensystem” verwendet worden. Zur Erleichterung des Übergangs auf das „Internationale Einheiten­ system" enthält das Kapitel 15.2 entsprechende Angaben. Für eine spätere Auflage des Buches ist vorgesehen, die verwendeten Größen insgesamt auf das neue Einheitensystem umzustellen. Wir würden uns sehr freuen, wenn die Neuerscheinung unseres Taschen­ buches viele interessierte Leser findet und so einen bescheidenen Beitrag zum Fachgespräch zwischen den Waffentechnikern der Truppe, der Dienststellen und der Industrie leisten könnte. Düsseldorf, im Dezember 1972 Rheinmetall GmbH

Vorwort zur dritten Auflage Nachdem das waffentechnische Taschenbuch im Jahre 1972 erschien, war die Nachfrage für dieses Buch so groß, daß wir kurz danach eine zweite Auflage herausgegeben haben, bei der einige Verbesserungen be­ rücksichtigt wurden. Da diese zweite Auflage inzwischen auch vergriffen ist, haben wir uns entschlossen, die vorliegende dritte Auflage herauszugeben. Dabei wurde der Inhalt verschiedener Kapitel überarbeitet, um den inzwi­ schen erreichten technischen Fortschritt zu berücksichtigen; außerdem konnten wir die Anregungen von einer Reihe von Lesern bei dieser Be­ arbeitung berücksichtigen. Für diese Anregungen möchten wir an die­ ser Stelle herzlich danken. Die überarbeitete dritte Auflage verwendet jetzt konsequent das neue „Internationale Einheitensystem".

Düsseldorf, im Januar 1977 Rheinmetall GmbH

Inhaltsverzeichnis 1

1.

E xplosivsto ffe............................................................. R. Germershausen

1.1. 1.2. 1.3. 1.3.1. 1.3.1.1. 1.3.1.2. 1.3.1.2.1. 1.3.1.2.2. 1.3.2. 1.3.2.1. 1.3.2.2. 1.3.2.3. 1.3.3. 1.3.4. 1.3.5. 1.4. 1.4.1. 1.4.2. 1.4.3. 1.4.4. 1.4.5. 1.4.6. 1.4.6.1. 1.4.6.2. 1.4.6.3. 1.5. 1.5.1. 1.5.2. 1.5.3. 1.5.4. 1.5.5.

Allgemeines.................................................................. 1 Einteilung explosiver S to ffe ....................................... 5 Pulver .......................................................................... 8 Geschützpulver ........................................................... 8 Nitrocellulosepulver..................................................... 8 Pulver ohne Lösungsmittel.......................................... 9 Zweibasige Pulver ..................................................... 9 Dreibasige Pulver ..................................................... 10 Raketentreibstoffe......................................................... 11 Flüssigtreibstoffe............................................................ 11 Festtreibstoffe.................................................................15 Lithergole .....................................................................17 Thermochemie............................................................. 18 Das Abbrandverhalten der Pulver.............................. 20 Prüfmethoden für Pulver ............................................24 Sprengstoffe ................................................................ 29 Militärische Sprengstoffe............................................30 Zivile Sprengstoffe.......................................................34 Initialsprengstoffe...................................................... 35 Prüfmethoden für Sprengstoffe .................................38 Theorie der D e to na tion..............................................40 Militärische Anwendung der Sprengstoffe............... 44 Druckwirkung von Sprengladungen...........................45 Splitterladungen ......................................................... 46 Hohlladungen ..............................................................55 Pyrotechnische Sätze...................................................65 Leuchtsätze................................................................. 65 Rauch- und Nebelsätze ..............................................66 Knallsätze ....................................................................67 Brandsätze....................................................................67 Sonstige S ä tz e ............................................................. 67

2.

Innere Ballistik R. Germershausen und E. Melchior

2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.1.3. 2.1.4. 2.1.5. 2.1.5.1.

Innere Ballistik der Rohrwaffen.................................70 Der Aufbau einer R o hrw a ffe ..................................... 71 Der Vorgang der Schußentwicklung.......................... 72 Die Energieverhältnisse beim Schuß.......................... 75 Gasdruck und Rohrauslegung ...................................79 Innenballistische Berechnungsverfahren....................81 Die Räsalsche Gleichung ............................................ 81

7g

VII

2.1.5.2. 2.1.5.3. 2.1.5.4. 2.1.5.5. 2.1.5.6. 2.1.6. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.2.4. 2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.3.3. 2.3.4. 2.3.5.

Die Druckverteilung im R o hr...................................... 84 Der Pulverabbrand.................................................. 85 Verlauf von Druck und Geschoßgeschwindigkeit im Rohr ............................................................................. 88 Berechnungsbeispiel................................................ 95 Projektrechnungen.................................................. 96 Der Rohrrücklauf und die Mündungsbremse ...........104 Besondere innenballistische Anordnungen............ 106 Das Hoch-und N iede rdru ckrohr.......................... 106 Die Düsenkanone.................................................... 108 Das konische R o h r.................................................. 109 Die Leichtgaskanone.............................................. 111 Innere Ballistik der Raketen .........................................113 Allgemeines............................................................. 113 Antriebsarten...........................................................114 Berechnung des Schubes und Auslegung derDüse. . 1 1 7 Berechnung des Brennkammerdruckes von Fest­ stoffraketen 120 Stufenraketen ..............................................................123

3.

Äußere Ballistik E. Melchior und H. Reuschel

3.1. 3.1.1. 3.1.2. 3.1.3.

Die Geschoßbahn im luftleeren R a u m ................. 125 Die Flugbahn...........................................................125 Die Sicherheitsparabel........................................... 128 Schießen auf geneigter Ebene; das Flugbahn­ schwenken ......................................................................128 Der bestrichene Raum .................................................130 Die Geschoßbahn im lufterfüllten R a u m .............. 131 Aerodynamik des Geschosses.................................131 Der Luftw iderstand................................................. 131 Luftkräfte bei nicht-axialer A nström ung..............135 Ähnlichkeits-und Modellgesetze........................... 139 Die Atmosphäre........................................................140 Flugbahnberechnungen...........................................142 Die Hauptgleichung der äußeren Ballistik ................... 142 Die Integration der Hauptgleichung.......................143 Flugbahnberechnung m it konstantem Widerstandsbeiwert cw ...............................................................144 Flugbahnberechnung nach S iacci........................... 145 Flugbahnberechnung nach d 'A n to n io .......................... 146 Maximale Schußweiten bei bekannter Querschnitts­ belastung und Mündungsgeschwindigkeit....................150 Näherungslösungen .........................................................151 Bestimmung von Flugbahnparametern aus dem Schußweitenverhältnis .................................................151 Angenäherte zeichnerische Flugbahndarstellung (nach R. S c h m id t)......................................................... 152

3.1.4. 3.2. 3.2.1. 3.2.1.1. 3.2.1.2. 3.2.1.3. 3.2.1.4. 3.2.2. 3.2.2.1. 3.2.2.2. 3.2.2.2.1. 3.2.2.2.2. 3.2.2.2.3. 3.2.2.2.4. 3.2.2.3. 3.2.2.3.1. 3.2.2.3.2.

VIII

125

154 159 159 160 162 165

3. 4. 3 . 4 . 1. 3 . 4 . 2.

Störungsrechnung ....................................................... Stabilität und Folgsamkeit......................................... Die Pendelung des Drallgeschosses............................ Die Pendelgleichung ..................................................... Das Molitzsche Stabilitätsdreieck.............................. Der Folgsamkeitsfaktor.............................................. Experimentelle Bestimmung aerodynamischer Bei­ werte und der Geschoßstabilität .............................. Windkanalmessungen.................................................. Messen in einer Freifluganlage................................... Pfeilstabile Geschosse ................................................ Äußere Ballistik der Rakete....................................... Die Raketenbahn im luftleeren R a u m ...................... Die Raketenbahn im lufterfüllten Raum ................. Einfluß des Seitenwindes und des Abkippeffektes auf Raketen .................................................................. Bombenballistik........................................................... Abwurf im luftleeren Raum ....................................... Abwurf im lufterfüllten R aum ...................................

4.

Abgangsballistik

178

3 . 2. 2. 4 . 3 . 2 . 3. 3 . 2 . 3 . 1. 3 . 2. 3. 2. 3. 2 . 3. 3 . 3 .2. 3. 4 . 3. 2 . 3 . 5 . 3 . 2 . 3 . 5 . 1. 3 . 2. 3. 5 . 2 . 3 . 2. 3. 6 . 3. 3. 3 . 3 . 1. 3. 3. 2. 3 . 3 . 2 . 1.

165 165 166 168 169 169 172 172 173 173 175

H. Reuschel 4 . 1. 4 . 1. 1. 4 . 1. 2 .

Der Abgangsfehler............................. Ursachen des Abgangsfehlers........... Ermittlung des Abgangsfehlerwinkels

178 178 179

5.

Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung

181

H. Reuschel und H.-J. Schiewer 5 . 1. 5 . 1. 1. 5. 2. 5 . 2 . 1. 5 . 2 . 2. 5. 3. 5. 4 . 5. 4 . 1. 5. 4 . 2. 5. 4. 3. 5. 4. 4. 5 . 5. 5 . 5 . 1. 5 . 5 . 2. 5. 5. 3 .

Grundbegriffe ............................................................. 181 Beispiele zu den Grundbegriffen ............................... 182 Verteilungsfunktionen................................................ 184 Die Normalverteilung.................................................. 184 Die Binomialverteilung .............................................. 189 Stichprobe und Stichprobenparameter .................... 190 Ballistische Anwendungen.......................................... 192 Treffwahrscheinlichkeit.............................................. 192 Zerstörungswahrscheinlichkeit................................... 196 Abschußwahrscheinlichkeit . ...................................... 198 Munitionsbedarf ............... ......................................... 199 Das Ausreißerproblem................................................ 204 Das Ausreißerkriterium nach Chauvenet............. 204 Das Ausreißerkriterium nach S tu d e n t..................... 206 Das Ausreißerkriterium nach Graf und Henning . .207

IX

6.

Zielen und Richten W. Kuppe und E. K okott

6.1. 6.1.1. 6.1.2. 6.2. 6.2.1.

6.3.4.4. 6.3.4.5. 6.4. 6.4.1. 6.4.2. 6.5.

Allgemeine Bedingungen für Ziel-und Richtmittel . 209 Das artilleristische W inkelm aß......................................210 R ichtarten.......................................................................211 Die Zieleinrichtungen ...................................................212 Schwingender und waagerechter Seitenvorhalte­ richtkreis ...................................................................... 214 Die Schildzapfenverkantung und die dabei entste­ henden Richtfehler ....................................................... 215 Das Horizontieren ......................................................... 219 Die „toten Räume" unddie Grenzen der Flugab­ wehr 220 Die Mittel zum Zielen und R ic h te n ............................. 222 Optische und mechanische I nstrumente und Geräte; Visiere für die Feld-und Panzerartillerie ....................222 Die optischen Mittel der A u fk lä ru n g ...........................222 Die mechanischen R ic h tm itte l...................................... 223 Feuerleitgeräte für die Feld-und Panzerartillerie . . . 224 Visiere und Feuerleitgeräte der Fla-Rohrwaffen . . . 2 2 5 Fla-Visiere....................................................................... 225 Feuerleitgeräte für die Rohrwaffen-Fla .......................228 Moderne Techniken für das Beobachten und Zielen 231 Die Radartechnik ........................................................231 Die Fernsehtechnik ......................................................232 Die Nachtsichttechnik .................................................233 Die aktive Infrarottechnik .......................................... 233 Passive Bildverstärker und Schwachlicht-Fernsehan­ lagen (LLLT V ) ........................................................... 234 Die W ärmebildtechnik................................................... 235 Die Lasertechnik............................................................236 Das Stabilisieren ........................................................... 237 Das Stabilisieren auf Schiffen ..................................... 237 Das Stabilisieren im Panzer ......................................... 238 Übungsgeräte..................................................................239

7.

Automatische Schußwaffen

6.2.2. 6.2.3. 6.2.4. 6.3. 6.3.1. 6.3.1.1. 6.3.1.2. 6.3.2. 6.3.3. 6.3.3.1. 6.3.3.2. 6.3.4. 6 .3.4.1. 6.3.4.2. 6.3.4.3. 6 .3.4.3.1. 6 .3.4.3.2.

209

242

F. Flanhardt und K. Harbrecht 7.1. 7.2. 7.3. 7.4. 7.5.

X

Einteilung der automatischen Schußwaffen............... 242 Funktionsvorgänge an einer automatischen Waffe . . 245 Beispiele automatischer Schußwaffen und deren Funktionsablauf ...........................................................248 Wichtige Bau- und Funktionsgruppen automatischer W a ffe n ............................................................................259 Leistungsbetrachtungen................................................ 264

7.6. 7.7.

Lagerung automatischer Waffen; Rücklauf- und Vor­ holeinrichtungen .........................................................266 Elektronisches Kadenz- und Rhythmussteuergerät IKARUS ......................................... ............................268

8.

Geschütze F. Horn

8.1. 8.1.1. 8.1.1.1. 8.1.1.2. 8.1.1.3. 8.1.1.4. 8.1.1.5. 8.1.1.6. 8.1.2. 8.1.2.1. 8.1.2.2. 8.1.2.3. 8.1.2.4. 8.1.2.5. 8.1.2.6. 8 .1.2.7. 8.1.3. 8.1.4. 8.1.5. 8.1.6.

Geschützrohre................................................................271 Rohre .............................................................................290 V o llro h re ......................................................................... 290 Mehrlagenrohre.............................................................. 293 Vollrohre mit A u to fre tta g e .......................................... 295 Rohre mit auswechselbaren Futterrohren ...................297 Auswechselbare Rohre................................................... 298 Fertigung der Rohre ..................................................... 299 Verschlüsse .....................................................................300 Feste Rohrböden............................................................ 301 Keilverschlüsse................................................................ 301 Schraubverschlüsse. . .....................................................306 Bodenverschluß.............................................................. 309 Liderungen .....................................................................310 Abfeuerungen ................................................................ 315 Hülsenauswerfer.............................................................. 318 Mündungsbremsen.........................................................319 Rauchabsauger............................................................... 319 Wärmeschutzhüllen ...................................................... 320 Berechnung der Geschützrohre ...................................320 D. Böder Berechnung der Vollrohre ohne Autofrettage ............ 322 Berechnung der Vollrohre mit Autofrettage .............. 326 Berechnung der Keilverschlüsse.................................... 330 Lebensdauer der Geschützrohre...................................332 D. Böder Verschleißlebensdauer................................................... 332 Ermüdungslebensdauer .................................................334 Geschützrohrwerkstoffe und derenPrüfung.................335 D. Böder W erkstoffe.......................................................................335 W erkstoffprüfung............................................................336 Lafetten.......................................................................... 337 Lagerung der Geschützrohre undAufnahme der Kräfte beim Schuß.........................................................337 Kräfte und Kräfteverlauf beim S c h u ß ......................... 338 Richtlinien zur Vermeidung zusätzlicher, schädli­ cher Kräfte und Drehmomente ...................................340

8.1.6.1. 8.1.6.2. 8.1.6.3. 8.1.7. 8.1.7.1. 8.1.7.2. 8.1.8. 8.1.8.1. 8.1.8.2. 8.2. 8.2.1. 8.2.1.1. 8.2.1.2.

270

XI

8.2.1.3. 8.2.1.4. 8.2.2. 8.2.2.1.

Rohrwiegen.................................................................. Rohrbremsen und Rohrvorholer ............................... Richten, Stabilisieren und Horizontieren.................. Richtachsen, Geschützhöhenrichtteil,-seitenrichtteil ynd -verkantungsteil .................................................. Oberlafette und Verkantungsträger.......................... Ausgleicher .................................................................. Richtmaschinen.......................................................... Stabilisierung............................................................... Horizontierung .......................................................... Rieht-und Schußbereichbegrenzung......................... Geschützunterteil und Fahrbarmachung .................. Räderlafetten................................................................ Selbstfahrlafetten und Panzer ................................... Ortsfeste Lafettierungen ............................................ Sonderlafettierungen.................................................. Panzerung und ABC-Schutz....................................... Schutz durch Panzerungen an Fahrzeugen und Lafetten ..................................................................... Schutz gegen ABC-Kampfstoffe ............................... Ladeeinrichtungen...................................................... Vollautomatische Ladeeinrichtungen........................ Automatische Ladeeinrichtungen ............................ Teilautomatische Ladeeinrichtungen........................

341 343 347

9.

Geschützmechanik S. v. Boutteville

379

9.1. 9.2. 9.3. 9.4.

Begriff der Geschützmechanik.................................. Verwendete Bezeichnungen....................................... Einige wichtige Grundregeln der Mechanik ............. Grundsätzliche Verfahren für den Abschuß eines Geschosses ................................................................. Belastung des Rohres beim S ch u ß ............................ Kräfte am glatten Rohr für flügelstabilisierte Ge­ schosse ....................................................................... Kräfte am gezogenen Rohr für drallstabilisierte Geschosse ................................................................... Belastung der Lafette beim S chu ß ............................ Arten der Rohrlagerung............................................. Bewegungsverhältnisse bei freiem R ücklauf............. Erforderliche Bremskraft bei anfänglich freiem R ü cklau f..................................................................... Einfluß einer Anfangsbremsung auf den Rohrrück­ lauf ............................................................................. Lafettenbelastung bei federnder Rohrlagerung . . . . Starre Lagerung des Rohres....................................... Wirkung einer Mündungsbremse............................... Grundsätzliche Wirkungsweise....................................

379 379 381

8.2.2.2. 8.2.2.3. 8.2.2.4. 8.2.2.5. 8.2.2.6. 8.2.2.7. 8.2.3. 8.2.3.1. 8.2.3.2. 8.2.3.3. 8.2.4. 8.2.5. 8.2.5.1. 8.2.5.2. 8.3. 8.3.1. 8.3.2. 8.3.3.

9.5. 9.5.1. 9.5.2. 9.6. 9.6.1. 9.6.2. 9.6.3. 9.6.4. 9.6.5. 9.6.6. 9.7. 9.7.1. XII

348 349 353 356 358 359 360 362 363 366 367 367 369 369 371 371 372 376 377

383 384 386 386 390 390 392 397 400 406 411 413 413

9.7.2. 9.7.3. 9.7.4. 9.7.5. 9.7.6. 9.8. 9.9. 9.9.1. 9.9.2. 9.9.3. 9.10. 9.10.1. 9.10.2. 9.11. 9.11.1. 9.11.2. 9.11.3. 9.12. 9.13. 9-13.1. 9.13.2. 9.13.3.

10.

Impulsgrößen................................................................ 415 Kennw erte.................................................................... 416 Beziehungen zwischen den Kennwerten.......................418 Messung der Kennw erte.............................................. 422 Belastung der Mündungsbremse................................. 424 Erforderliche Bremskraft m it Mündungsbremse . . . . 425 Kräfte am Geschütz mit Rohrrücklauf...................... 429 Kräfte an den rücklaufenden Teilen beim Schuß . . . 430 Kräfte am System Rohr-Rohrwiege.......................... 432 Kräfte am gesamten Geschütz ................................... 434 Standfestigkeit des Geschützes beim Schuß . . . . . . . 435 Standfestigkeit von Rädergeschützen........................ 435 Standfestigkeit von Selbstfahrlafetten und Kampf­ panzern ........................................................................ 437 Berechnungen zur Rücklaufeinrichtung.................... 440 Aufbau der Bremskraft im Kraft-Weg-Diagramm . . . 440 Die Flüssigkeitsbremskraft.......................................... 441 Die Vorholerkraft ....................................................... 445 Grundsätzlicher Aufbau üblicher Rohrbremsen . . . . 448 Einige besondere Probleme bei hydraulischen Bremsen.......................................................................... 450 Entstehung eines Vakuums ............................................450 Einfluß der Erwärmung ...............................................451 Verhalten einer Luftblase im Druckraum einer Rohrbremse ................................................................ 454 Geschütz- und Geschützturm-Prüfstände

456

F. Horn und D. Bäder 10.1. 10.1.1. 10.1.2. 10.2. 10.3. 10.4. 10.5. 11.

Dynamische Geschützprüfstände............................... Ortsfester Baugruppenprüfstand ............................... Fahrbarer Geschützprüfstand..................................... Schlingerstände für Schiffsgeschütze und Feuerleit­ anlagen ........................................................................ Ortsfeste Bewegungsplattform für Kampfpanzer­ türme .......................................................................... Rücklaufmeßstand....................................................... Prüfstände für Waffenanlagen.....................................

456 456 458

460 461 462

Munition

464

458

R. Römer 11.1. 11.2. 11-2.1. 11.2.2. 11.2.3.

Munitionsaufbau ......................................................... Geschosse .................................................................... Geschosse für Handfeuerwaffen und Maschinen­ gewehre ...................................................................... Sprenggeschosse........................................................... Panzerbrechende Geschosse.......................................

464 465 466 467 470

XIII

Kaliberaleiche Wuchtgeschosse ................................. Unterkalibrige Wuchtgeschosse (Treibkäfig­ geschosse) .................................................................... Hohlladungsgeschosse ................................................ Flügelstabilisierte Hohlladungsgeschosse ................. Drallstabilisierte Hohlladungsgeschosse.................... Quetschkopfgeschosse................................................ Flanschgeschosse für konische Rohre . ...................... Pfeilgeschosse ............................................................. Das Röchlinggeschoß.................................................. Das Peenemünder Pfeilgeschoß ................................. Das Rheinmetall-Ferngeschoß...................................... Überkalibergeschosse.................................................... Nachbeschleunigte Geschosse ................................... Trägergeschosse........................................................... Sondergeschosse ......................................................... Die Treibladungshülse ................................................ Fertigung von Treibladungshülsen............................ Munitionsarten ........................................................... Munition für Handfeuerwaffen und Maschinenge­ wehre .......................................................................... Munition für Maschinenkanonen............................... Panzermunition............................................................ Das Durchschlagsverhalten von Panzergeschossen . . A rtille rie m u n itio n ....................................................... Munition für Kanonen und H aubitzen...................... Granatwerfermunition (Mörsermunition) ............... Übungsmunition ......................................................... Manövermunition ....................................................... Exerzierm unition......................................................... Handgranaten und Abw urfmunition ........................ Die Beanspruchung der Geschosse beim Abschuß . . J. Prochnow Der Drall und die Führungsbänder............................ Die Leistenkraft........................................................... Flächenpressung und Reibungsarbeit der Führungs­ bänder ........................................................................ Die Drehzahl der Geschosse ..................................... Die Beanspruchung der Geschoßhüllen beim Ab­ schuß .......................................................................... Raketen R. Germershausen Aufbau der Raketen .................................................. Ungelenkte Raketen .................................................. Gelenkte Raketen ....................................................... Gefechtsköpfe............................................................. Raketenwerfer............................................................. Daten bekannter Raketenwaffen...............................

470 472 474 475 479 481 482 483 484 485 486 487 488 490 491 494 495 498 499 501 506 511 513 514 517 518 519 521 522 523 523 527 529 531 531 537

539 541 543 547 548 549

13.

Zünder

556

G. Backstein und H.-D. Harnau 13.1. 13.2. 13.2.1. 13.2.2. 13.2.2.1. 13.2.2.2. 13.2.2.3. 13.2.2.4. 13.2.3. 13.3.

Sicherheitstechnische und taktische Forderungen .. W irkteilzünder............................................................. Arten von W irkteilzündern.......................................... Zünderbaugruppen....................................................... Energiequellen und Energiespeicher.......................... Sicherungssysteme....................................................... Schaltglieder ................................................................ Z ündm ittel.................................................................... Konstruktionsbeispiele .............................................. Treibladungsanzünder ................................................

556 557 557 561 561 565 571 575 578 583

14.

Ballistische und waffentechnischeMeßverfahren

586

P. B e tte rm a n n u n d F. M a y e r

14.1. 14.1.1. 14.1.2. 14.1.3. 14.2. 14.2.1. 14.2.2. 14.3. 14.3.1. 14.3.2. 14.4. 14.4.1. 14.4.2. 14.5. 14.5.1. 14.5.2. 14.5.3. 14.6. 14.6.1. 14.6.2. 14.6.3. 14.6.4. 14.6.5. 14.7. 14.7.1. 14.7.2. 14.7.3. 14.7.4.

Zeitmessung, Registrierung und Ausw ertung........... Zeitmeßgeräte............................................................. Registriergeräte........................................................... Abbildende Geräte für Kurzzeitvorgänge.................. Messungen zur inneren B a llis tik .................................. Messen des Höchstgasdruckes ................................... Messen des Gasdruckverlaufs..................................... Messungen zur äußeren Ballistik ........................... Messen der Geschoßgeschwindigkeit ......................... Vermessen der F lugbahn............................................ Messungen zur Abgangsballistik................................. Messen der Rohrbiegeschwingungenund der Rohr­ ablage Messen des Knalldruckes............................................ Messungen zur Endballistik ....................................... Vermessen des T re ffb ild e s......................................... Messen der Durchschlagsleistung................................ Messen der S p litte rw irku n g ........................................ Waffentechnische Messungen..................................... Messen der Kadenz .................................................... Messender Rohrtemperatur....................................... Messen von Bewegungsvorgängen.............................. Messen von Materialbeanspruchungen...................... Messen von Rückstoßkräften..................................... Kurzzeitfotografie....................................................... Zeitlupenkameras ...................................................... Kompensationskameras.............................................. Funkenblitzgeräte...................................................... Röntgenblitzgeräte ....................................................

586 587 587 589 5g0 590 592 594 594 598 604 604 606 608 608 611 611 611 612 613 613 618 619 620 620 623 627 628 XV

Tabellen E. Melchior

631

Mathematische Beziehungen und Tabellen............... Die Zahlen n und e ..................................................... Winkelfunktionen ....................................................... Logarithmen ................................................................ E xpo ne ntia lfunktio n.................................................. Die reziproken Werte der Zahlen 1 bis 100 ............. Die ersten 8 Potenzen der Zahlen 1 bis 2 0 ............... Größen und Einheiten, Einheitensysteme ............... Das Internationale Einheitensystem.......................... Das Technische Einheitensystem............................... Gesetz über Einheiten im Meßwesen ........................ Wichtige gesetzliche abgeleitete E in h e ite n ............... Übergangsvorschriften................................................ Wichtige angelsächsische Einheiten .......................... Härtemaße.................................................................... Umrechnungstabellen ................................................ Energieeinheiten ......................................................... Leistungseinheiten....................................................... Druckeinheiten ........................................................... Temperaturgrade......................................................... Angelsächsische E in h e ite n .......................................... Begriffe und Symbole der inneren Ballistik; Dimen­ sionen im Internationalen (m kg s) und im Techni­ schen (m kp s) Einheitensystem ............................ Verschiedenes ............................................................. Chemische E le m en te.................................................. Griechisches A lp h a b e t................................................

631 631 631 645 647 649 649 650 651 651 652 653 653 654 656 659 659 659 659 660 661

Stichwortverzeichnis

665 667 667 669

671

R H E IN M E TA LL ein Unternehmen der Wehrtechnik Das Haus Rheinmetall kann inzwischen auf eine mehr als 85jährige Tra­ dition im Waffenbau zurückblicken. Den Angehörigen der Bundeswehr und den NATO-Partnern ist das Unternehmen durch eine Reihe neuzeit­ licher Waffenentwicklungen bekannt; überhaupt hat Rheinmetall sich seit seiner Gründung mit waffentechnischen Entwicklungen befaßt, die zum Teil richtungweisend waren. Es wird hier ein kurzer Rückblick auf die Geschichte unseres Hauses und ein Überblick über unser Produktionsprogramm gegeben. Rheinmetall wurde am 7. Mai 1889 als ,,Rheinische Metallwaaren- und Maschinenfabrik Akt.-Ges." in Düsseldorf gegründet. Anlaß war die Um­ bewaffnung der deutschen Armee m it dem Infanterie-Mantelgeschoß M 88. M it dem Aufbau und der Leitung des Betriebes wurde Heinrich Ehrhardt betraut, der in der Folge die Geschicke der Firma über 30 Jah­ re lenkte und sie - nicht zuletzt aufgrund eigener, bahnbrechender waf­ fentechnischer Entwicklungen — zu einem weltweit anerkannten Unter­ nehmen der Waffentechnik ausbaute. Wichtige Schritte auf diesem Wege waren: 1892 Erwerb eines Schmiedewerkes in Düsseldorf-Rath und des­ sen Ausbau zu einem m it der Zeit weit überden Eigenbedarf hinausge­ henden Stahlwerk; 1899 Übernahme der „Zündhütchen- und Gewehrfa­ brik Nikolaus Dreyse" in Sömmerda und Ausbau zur Zünderfabrik mit späterer Erweiterung für die Herstellung von Visieren, Infanteriewaffen und Maschinengewehren; ebenfalls 1899 Erwerb des Schießplatzes Un­ terlüß.

4

Bild 1.

Der Querschnitt eines quadratischen Stahlblocks in der zylindrischen Matrize wurde zum Rheinmetall-Zeichen.

Entwicklung und Aufstieg der Firma beruhten in der Hauptsache auf dem von Heinrich Ehrhardt entwickelten Preß- und Ziehverfahren zur Herstellung nahtloser Hohlkörper, das als wichtige Erfindung in die Ge­ schichte der Technik eingegangen ist. Das Verfahren basiert darauf, ei­ nen glühenden Vierkantstahlblock in einer zylindrischen Matrize mittels eines runden Dorns zu lochen und den entstandenen Preßling durch Warmziehen zu längen, so daß nahtlose Hohlkörper (Geschoßhüllen) und Stahlrohre entstehen (s. Bild 1).

XVII

Im Jahre 1898 baute Ehrhardt das erste felddiensttaugliche Rohrrück­ laufgeschütz der Welt, eine 7,5-cm-Feldkanone. Diese nach kostspieli­ gen Versuchen und langwierigen Auseinandersetzungen mit voreinge­ nommenen Gegenspielern durchgesetzte Erfindung wurde, nachdem das Ausland m it ersten Bestellungen Schrittmacherdienste geleistet hat­ te, in wenigen Jahren bei den Artillerien der ganzen Welt — bei der deutschen Armee von 1904 an - eingeführt.

Bild 2.

Heinrich Ehrhardt, Gründer der „Rheinischen Metallwaaren- und Maschinenfabrik Akt.-Ges.", später „Rheinm etaii", und Erfinder des ersten felddiensttauglichen Rohrrücklaufgeschützes der Welt, an der 7,5-cm-Feldkanone (1900).

Im Ersten Weltkrieg versorgte Rheinmetall Heer, Marine und Luftwaffe m it Geschützen jeglicher Art wie Kanonen, Haubitzen, Mörser, Minen­ werfer, Pak, Flak, Schiffs-, U-Boots- und Flugzeuggeschütze sowie In­ fanteriewaffen einschließlich aller Munition. Nach der Demontage aller für die Herstellung von Kriegsmaterial gebrauchten Maschinen und Ein­ richtungen lief bereits 1920 eine weitgestreute Zivilproduktion mit dem Bau von Lokomotiven, Waggons, Dampfpflügen und anderen landwirt­ schaftlichen Maschinen, Bergwerks- und Hüttenmaschinen an; im Werk Sömmerda wurde die Fertigung von Büromaschinen und Kraftfahrzeug­ teilen (Kardanwellen) aufgezogen und bis zum Zweiten Weltkrieg er­ folgreich fortgeführt. Erst nach 1925 wurde durch die alliierte Kontrollkommission wieder eine waffentechnische Entwicklung genehmigt. Nach dem Bau einer 7,5-cm-Feldkanone folgte die Entwicklung der 15-cm-Drillingstürme der fünf Kreuzer der K-Klasse sowie eines Feuerleitgerätes als Vorläufer der späteren Flak-Kommandogeräte.

XVIII

Im Jahre 1933 wurde die Firma A. Borsig in Berlin-Tegel m it ihrem um­ fangreichen Maschinenbauprogramm übernommen, und ab 1936 führte das Unternehmen den Namen Rheinmetall-Borsig AG. Waffentechnische Entwicklungen und Fertigungen jener Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges waren Waffen jeglicher A rt für die drei Wehrmachtsteile einschließlich der Munition, u.a. Panzer, schwere Mör­ ser (s. Bild 3) und Raketen.

B ild 3.

60-cm-Mörser „K a rl", das bis heute dem Kaliber nach größte als komplette Einheit verlastbare Geschütz der Weit. 1937 Beginn der Entwicklung bei Rheinmetall; Fronteinsatz bei den Angriffen auf Brest-Litowsk 1941 und Sewastopol 1942.

Neben der Entwicklung und Fertigung des Mörsers „K a rl" (oder „T h o r", wie ihn die Truppe nannte) einschließlich seiner 54-cm- und 60-cm-Granaten wurde bereits die Entwicklung ferngesteuerter Boden/ Boden-Flugkörper betrieben. Die „Rheintochter" war eine zweistufige Flüssigkeitsrakete m it 40 km Reichweite, die vierstufige Feststoffrakete „Rheinbote" hatte eine Reichweite von 250 km. Die ferngesteuerte Fallbombe „F ritz X " trug eine Sprengladung von 350 kg Gewicht ins Z iel. Die vorhandenen Produktionsstätten wurden vergrößert und neue Wer­ ke hinzuerworben: Berlin-Marienfelde, Alkett, Apolda, Guben und Breslau. Das Jahr 1945 brachte die völlige Zerstörung und Demontage aller Pro­ duktionsstätten einschließlich des Schießplatzes Unterlüß.

XI X

Im Gegensatz zu vielen anderen Firmen konnte Rheinmetall nicht so­ fo rt an einen Wiederaufbau denken; über Jahre hinaus legte ein Pro­ duktionsverbot die Werke still. Erst im Herbst 1956 erhielten Teilbe­ triebe der alten Firma erstmals wieder eine Produktionsgenehmigung, und es konnte nach und nach m it dem Aufbau der bis auf zwei Gebäu­ de noeh in Schutt und Asche liegenden Anlagen begonnen werden. Vorausgegangen war unter der Holding Rheinmetall-Borsig AG die Ver­ selbständigung der beiden großen Fabrikationsstätten Rheinmetall Düs­ seldorf und Borsig Berlin als juristisch selbständige Aktiengesellschaf­ ten. Erst als im Zuge der Reprivatisierung die Übernahme der Aktien­ mehrheit der Berliner Holding, der Rheinmetall-Borsig AG, durch die Röchling'sche Eisen- und Stahlwerke GmbH in Völklingen/Saar erfolg­ te, begann der wirkliche Wiederaufbau in Düsseldorf. Das einstige Stammwerk wurde damit wieder zum Kern des Unternehmens. 1956 begann auch die Entwicklung von Waffen und Gerät für die Bundes­ wehr und andere NATO-Streitkräfte. Zunächst einmal mußten die Grundlagen für die Wiedereinrichtung ei­ ner Waffenkonstruktion und -fertigung geschaffen werden. Konstruk­ teure und Facharbeiter waren kaum noch vorhanden. Langsam erst ge­ lang es, aus zurückgekehrten ehemaligen Mitarbeitern wieder eine Kern­ mannschaft zu bilden, m it der die nötigen Grundlagen der neuen Waf­ fenfertigung gelegt werden konnten. Bereits im Januar 1958 begann ter­ mingerecht die Auslieferung des Maschinengewehrs MG 1, einer auf das NATO-Kaliber 7,62 mm modifizierten Version der aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg stammenden, laufend verbesserten Konstruktion des MG 42. Es folgte die Serienfertigung der 20-mm-Maschinenkanone MK 20—1 (Lizenzbau der Hispano Suiza HS 820) und des automatischen Gewehrs G 3.

B ild 4.

XX

Das MG 3 als Nachfolger des MG 42 ist heute in der Bundeswehr und einigen NATO-Staaten eingeführt.

Rheinmetall ist heute einer der wesentlichen Partner der Bundesrepu­ blik und der NATO bei der Entwicklung und Herstellung von Waffensy­ stemen und Munition. Zum Bereich Wehrtechnik, der von der Rheinme­ tall GmbH repräsentiert wird, gehören auch die Firmen RheinmetallIndustrietechnik GmbH in Düsseldorf, die sich m it der Produktionsan­ lagenplanung beschäftigt, die Nico-Pyrotechnik in Trittau, die unter an­ derem Leucht- und Signalmittel, Manöver- und Darstellungsmittel, Farbrauche, Nebelerzeuger und Tränengaserzeugermittel herstellt, und NWM de Kruithoorn B.V. in 's Hertogenbosch (Holland). Voraussetzung für die erfolgreiche Bearbeitung wehrtechnischer Proble­ me ist eine zukunftsorientierte Forschung und Entwicklung, die durch ein Management ergänzt wird, das m it modernen Methoden, entspre­ chenden Hilfsmitteln und Planungstechniken Projektabläufe vorbe­ stimmt, steuert und überwacht. Waffen sind heute vielfach komplexe Systeme, die zwecks kostenmäßig und technisch optimaler Lösungen einer ,,Systemführung" bedürfen. Die Fertigung muß auf die Produktion kompletter Waffensysteme sowie die Serienherstellung von Einzelteilen eingerichtet sein. Nicht zuletzt gehört dazu eine Versuchs- und Erprobungsstelle, wie sie Rheinmetall in Unterlüß in der Lüneburger Heide besitzt. Diese größte in Firmenbe­ sitz befindliche Anlage der Bundesrepublik verfügt über einen Schieß­ platz von nominal 15 km Länge bei rund 4 km Breite, der jedoch von Außenfeuerstellungen aus Schußweiten von 35 km zuläßt. Die Ausrü­ stung m it modernsten ballistischen und schießtechnischen Einrichtun­ gen ist teilweise von der Firma selbst entwickelt worden. In direkter Nachbarschaft zum Schießplatz befindet sich eine modern eingerichtete Munitionsanstalt, in der Munition im Kaliberbereich von 20 bis 203 mm laboriert wird.

Derzeitige Schwerpunkte des wehrtechnischen Programms Maschinengewehr MG 3 Das bei der Deutschen Bundeswehreingeführte Maschinengewehr MG 3 (Bild 4; Kal. 7,62 mm, Kadenz 700 bis 1300 Schuß/min), eine Weiter­ entwicklung des Maschinengewehrs MG 42, ist bei allen Truppenteilen im Einsatz. Es findet auch als Blenden-MG, Fla-MG und Bug-MG Ver­ wendung. Unter der werksinternen Bezeichnung MG 3e hat Rheinmetall eine ge­ wichtserleichterte Version des MG 3 entwickelt. Durch Wahl anderer Werkstoffe und gezielte Materialeinsparungen ist es gelungen, das MG 3

XXI

um 2,2 kg im Gewicht zu erleichtern unter Beibehaltung der bisherigen Funktion, Treffleistung und Handhabung. Die Austauschbarkeit der Baugruppen und lösbaren Einzelteile m it den entsprechenden MG 3Gruppen bzw. -Teilen ist gewährleistet.

Maschinenkanone MK 20 Rh 202 Die MK 20 Rh 202, eine von Rheinmetall entwickelte und gefertigte Maschinenkanone, ist in der Deutschen Bundeswehreingeführt und fin ­ det in den verschiedensten Lafettierungen Verwendung als Tiefflieger­ abwehrwaffe und zur Erdzielbekämpfung (Bild 5). Die Kanone ist als starrverriegelnder Gasdrucklader konstruiert. Ihre wesentlichen Vorteile liegen in der kurzen Bauart, der ballistischen Lei­ stung, der Funktionssicherheit, auch unter extremen Bedingungen, und den niedrigen Rückstoßkräften.

Biid 5.

XXII

Maschinenkanone M K 20 Rh 202.

Die Munitionszuführung erfolgt über einen Gurtzuführer, der von der Maschinenkanone getrennt in einem abklappbaren Rahmen der Lafette fest eingelagert ist. Zur Waffe gehören zwei wahlweise einsetzbare Gurt­ zuführer: ein Zweiweggurtzuführer m it schnellem Munitionswechsel und ein Dreiweggurtzuführer. Die durch die Gurtzuführer gegebenen Variationsmöglichkeiten machen die MK 20 Rh 202 zu einer für die Tieffliegerabwehr und gegen Erdziele gleichermaßen geeigneten Waffe. Die MK 20 Rh 202 läßt sich wegen ihrer kurzen Bauart, der Trennung des Gurtzuführers von der Kanone und der geringen Rückstoßkräfte für ein breites Spektrum von Waffenträgern und taktischen Aufgaben einsetzen. Die Maschinenkanone verschießt Munition vom Kaliber 20 mm x 139 m it Mündungsgeschwindigkeiten von rund 1100 m/s und einer Feuerfol­ ge von 800 — 1000 Schuß/min; die Kampfentfernung beträgt bis zu 2000 m.

MK 20 Rh 202 in Feldkanone 20 mm FK 20-2 Die Feldkanone 20 mm FK 20-2 besitzt eine MK 20 Rh 202 m it Dreiweg-Gurtzuführer und Erdziel-Fla-Visier (Bild 6 ).

BiId 6.

Maschinenkanone MK 20 Rh 202 in FK 20-2.

XXIII

M K 20 Rh 202 auf Bordlafette M it einer von der Firma Wegmann, Kassel, gebauten Bordlafette ist die MK 20 Rh 202 als Haupt- oder Nebenwaffe auf Schiffen oder im sta­ tionären Einsatz zum Schutz von Marinestützpunkten vorgesehen (Bild 7).

B iid 7.

Maschinenkanone M K 20 Rh 202 auf Bordlafette.

M K 20 Rh 202 in Flak 20 mm Zwilling Die von Rheinmetall entwickelte Flak 20 mm Zwilling (Bild 8) ist bei der Deutschen Bundeswehr eingeführt. Feuerleitanlage, Rundum­ schwenkbereich, Rohrerhöhung von — 5° bis + 83° und eine Schußlei­ stung von etwa 2000 Schuß je Minute befähigen das Waffensystem zur wirksamen Bekämpfung von Tieffliegern und zum Erdkampfeinsatz. Das Einachsfahrgestell macht das System beweglich.

XXIV

B ild 8 .

Maschinenkanone M K 20 Rh 202 in Flak 20 mm Zwilling.

MK 20 Rh 202 im Schützenpanzer Marder Der Schützenpanzer Marder ist m it einer MK 20 Rh 202 in Scheitella­ fette als Hauptbewaffnung ausgerüstet (Bild 9 ).

Bild 9.

Maschinenkanone M K 20 Rh 202 im Schützenpanzer Marder.

XXV

M K 20 Rh 202 im gepanzerten Spähwagen UR 416 Der gepanzerte Spähwagen UR 416 ist m it dem Rheinmetall-EinmannPanzerturm TF 20.15 ausgerüstet (Bild 10). Der TF 20.15 ist m it einer MK 20 Rh 202, wahlweise m it Dreiwegund Zweiweg-Gurtzuführung, bestückt. Er ist für Radfahrzeuge und leicht gepanzerte Kettenfahrzeuge geeignet, die als gepanzerte Spähwa­ gen für Aufklärungszwecke und als Begleitschutzfahrzeuge zur Be­ kämpfung von Erdzielen und von Luftzielen im Rahmen der T iefflie­ gerabwehr aller Truppen eingesetzt werden.

Bild 10.

MK 20 Rh 202 im gepanzerten Späh wagen UR 416 m it Rheinmetall-Einmann-Panzerturm TF 20.15.

MK 20 Rh 202 in Mannschaftstransportwagen MTW M 113 Für den Mannschaftstransportwagen MTW M 113 ist ebenfalls der Rheinmetall-Einmann-Panzerturm TF 20.15 m it MK 20 Rh 202 mit Wechselgurtzuführer vorgesehen.

M K 20 Rh 202 in Mannschaftstransportwagen M 113 C + R Für den Mannschaftstransportwagen M 113 C + R, der Aufklärungsver­ sion des MTW M 113, hat Rheinmetall das Turmsystem TF 20.11 ent­ wickelt, das als Einmannturm m it Zweiweg-Gurtzuführer trotz klein­ ster Einbauabmessungen volle Rundumsicht gestattet. Auch hier dient die MK 20 Rh 202 als Hauptbewaffnung der Erd- und Luftzielbekämpfung.

XXVI

MK 20 Rh 202 auf Achtrad-Spähpanzer Für den Achtrad-Spähpanzer hat Rheinmetall das Zweimann-Turmsystem TS 7 m it einer MK 20 Rh 202 als Hauptbewaffnung entwickelt (Bild 11).

Bild 11.

Maschinenkanone M K 20 Rh 202 im Zweimann-Turm­ system TS 7 des Achtrad-Spähpanzers.

MK 20 Rh 202 als Hubschrauberbewaffnung Für Hubschrauber als Waffenträger hat Rheinmetall eine Lafette zur MK 20 Rh 202 entwickelt, die unter der Hubschrauberzelle angebracht und von dem Schützen aus dem Hubschrauber heraus fernbedient wird (Bild 12).

Bild 12.

Maschinenkanone M K 20 Rh 202 als Hubschrauber­ bewaffnung.

XXVII

Ka no nenjagd pa nzer Die gesamte Waffenanlage des Kanonenjagdpanzers, bestehend aus einer 90-mm-Bordkanone, einem Blenden-MG in Kugelblende und einem FlaMG, wurde von Rheinmetall entwickelt, gefertigt und montiert (Bild 131.

Bild 13.

Kanonenjagdpanzer.

Kampfpanzer Leopard 1 Die Waffenanlage des Kampfpanzers Leopard für die 105-mm-Kanone und zwei MG wurde von Rheinmetall entwickelt. Im Rheinmetall-Werk Düsseldorf werden Einzelteile hergestellt sowie vollständige Panzertür­ me montiert (Bilder 14 und 15).

Bild 14.

XX V I I I

Kampfpanzer Leopard.

Bild 15.

Montage des Turmes für den Kampfpanzer Leopard 1 im Rheinmetall-Werk Düsseldorf.

Für die 90-mm-Kanone des KJPz und die 105-mm-Kanone des Leopard hat Rheinmetall auch die entsprechende Übungs- und Leuchtmunition entwickelt.

Panzerhaubitze M 109 G Die bei der Deutschen Bundeswehr eingeführte Panzerhaubitze M 109 G (Bild 16) konnte durch einen neuen, von Rheinmetall entwickelten Ver­ schluß eine wesentlich höhere Schußfolge erreichen und damit in der Leistung erheblich gesteigert werden. Außerdem wurde für dieses Ge­ schütz eine neue Zieleinrichtung entwickelt. Die Montage der komplet­ ten Waffenanlage erfolgt bei Rheinmetall.

Bild 16.

Panzerhaubitze M 109 G.

XXIX

155 mm FH 70 Die 155-mm-Feldhaubitze m it der dazugehörigen Munitionsfamilie ist eine trilaterale Entwicklung von England, Deutschland und Italien, an der Rheinmetall aufgrund der Entwicklung der höhenrichtbaren Teile (Kanone und Rücklaufsystem) und der Sondermunition wesentlich be­ teiligt ist.

155 mm PzH 70 Ebenfalls wesentlich beteiligt ist Rheinmetall an der trilateralen Ent­ wicklung der 155 mm Panzerhaubitze 70. Mit der PzH 70 läßt sich die im Zusammenhang m it der FH 70 entwickelte Munition verschießen.

Neue Generation Panzerkanone 105 m m /120 mm Für die Folgegeneration des Leopard 1 hat Rheinmetall die Waffe und Munition im Kaliber 105 und 120 mm entwickelt (Bilder 17 und 18). Diese Entwicklung zeichnet sich durch ein glattes Rohr und flügelstabi­ lisierte Munition aus. Das glatte 105-mm-Rohr eignet sich insbesondere für die Steigerung der Feuerkraft von eingeführten Panzern. Die 120-mm-Kanone stellt eine weit fortgeschrittene Waffe dar, die als Panzerbewaffnung für die 80er Jahre und wohl darüber hinaus anzuse­ hen ist•).

Bild 17.

')

120-mm-Glattrohrkanone Rheinmetall.

M e lle r, R .: D ie 1 2 0 -m m - G la ttr o h r k a n o n e v o n R h e in m e ta ll. In te r n a t. W e h rre v u e (9 ) 1 9 7 6 , N r. 4 ( A u g u s t) , S. 6 1 9 — 6 2 4 .

XXX

Bild 18.

120-mm-KE-Geschoß (Schlierenaufnahme).

Raketen Das Entwicklungsteam der Rheinmetall ist auch auf dem Gebiet von nachbeschleunigten Geschossen und Raketen, insbesondere für die Pan­ zerbekämpfung, tätig. Als Beispiel sei die Panzerabwehrwaffe ,,Hellebarde" erwähnt, eine Dü­ senkanone von 75 mm Kaliber, die als Einbauwaffe leichtgepanzerter Fahrzeuge flügelstabilisierte Hohlladungsraketen bis auf Kampfentfer­ nungen von 1000 m verschießt (Bild 19). Die konsequente Verfolgung des Prinzips der vollständigen Widerstandskompensation bei dieser Ent­ wicklung führte zu einem Geschoß, das vollkommen unempfindlich ge­ gen jede A rt von Querwind ist. Die erzielten Treffbilder sind denen ei­ ner guten Panzerkanone gleichzusetzen.

Bild 19.

Rheinmetall-Panzerabwehrwaffe ,,Hellebarde" auf dem Schützenpanzer Marder beim Schuß.

X X XI

Wehrtechnisches Produktionsprogramm Turm- und Waffenanlagen für Kampfpanzer und gepanzerte Fahrzeuge Panzerbordkanonen Panzerhaubitzen und Artilleriegeschütze Fla-Waffenanlagen Raketen und Raketenabschußsysteme Maschinenkanonen Infanteriewaffen Gefechts- und Übungsmunition Manöver- und Darstellungsmunition T reibladungsanzünder Elektrische Abfeuerungs- und Schußfolgesysteme Elektronische Meß- und Steuersysteme Ballistik-Meßsy steme Durchführung von Systemstudien Planung und Vertrieb von Produktionsanlagen

XX XI I

1.

Explosivstoffe

1.1.

Allgemeines

Die Explosivstoffe nehmen als chemische Energieträger in der Wehrtechnik in Form von Treibstoffen zum Antrieb von Projektilen und als Sprengstoffe zur Erzeugung von Schäden im Ziel eine entscheidende Schlüsselposition ein, die eines geschichtlichen Rück­ blickes wert ist. Nach dem Bekanntwerden des Schwarzpulvers in Europa (Beginn des 13. Jahrhunderts n.Chr. aus China) und der ersten Anwendung für den Schuß aus der „Büchse" durch den historisch nicht mit Sicherheit zu belegenden Berthold Schwarz um 1300 vergingen mehrere Jahrhun­ derte, bis in der Mitte des 19. Jh. weitere Stoffe entdeckt wurden, die neben den bis dahin einzigen Explosivstoff Schwarzpulver traten und ihn dann sehr bald in großem Umfang ersetzt haben. Vorläufer dieser Entwicklung waren BERTHOLLET, der 1788 Versuche unternahm, den Salpeter im Schwarzpulver durch Kaliumchlorat zu ersetzen und das „schwarze" Knallsilber (Ag3N) entdeckte, HOWARD mit dem Knallquecksilber (1799) und BRUGNATELLI mit dem Knallsilber (CNOAg) im Jahre 1802. Die modernen Explosivstoffe beruhen im wesentlichen auf der Nitrierung von Kohlenwasserstoffen unterschiedlichster Konstitution. Dieser Weg wurde begonnen mit dem Nitrobenzol (1834), dem Nitronaphthalin (1835) und der Pikrinsäure (1843); seine ersten entscheidenden Stationen waren, auf das gleiche Jahr 1846 zusammenfallend, die Entdeckung des Nitroglycerins durch SOBRERO und der Schießbaumwolle durch SCHÖNBEIN. Es folgen die für den technischen Einsatz dieser Stoffe bedeutsamen Arbeiten von A. NOBEL: 1867 Gur-Dynamit (75% Nitroglycerin/25% Kieselgur),

1

1875 Sprenggelatine (92% Nitroglycerin/8% Kollodiumwolle), 1888 das erste zweibasige Geschützpulver ,.Ballistit" (Nitroglycerin/Nitrocellulose). Die Gelatinierung und definierte Formgebung der Nitrocellulose mit Hilfe von Lösungsmitteln wurde von REID und JOHNSON (1882), DUTTENHOFER (1884) und V IEILLE (1885) m it dem Poudre ,,B" bearbeitet. Im Jahre 1889 entwickelten ABEL und DEWAR das zweibasige „Cordite", welches gegenüber dem „B a llistit" von NOBEL energiereicher ist. Während die Herstellungsverfahren für „C ordite" und „B a llistit" mit Lösungsmitteln arbeiten, wurde 1909 in Deutschland ein lösungsmittel­ freier Prozeß für zweibasige Pulver gefunden. Im Zweiten Weltkrieg wurden dann die „kalte n" Pulver mit Diglykoldinitrat und Nitroguanidin entwickelt, die mit dem Namen GALLW ITZ verbunden sind. Bei den Sprengstoffen ist nach NOBELs Gur-Dynamit der Einsatz der Pikrinsäure als Füllung von Sprenggeschossen zu nennen, die nach STETTBACHER [1] auf TURPIN (1885) zurückgeht. Damit war der Beginn der „Brisanzartillerie" und der Bomben gesetzt. Um den Nachteil der G iftigkeit und der Bildung stoßempfindlicher Salze bei der Pikrinsäure zu vermeiden, griff man später auf das seit 1863 bekannte T rinitrotoluol (TNT) zurück, das zu Beginn dieses Jahrhunderts im technischen Maßstab verfügbar wurde. 1877 fand MERTENS das Tetryl, 1898 HENNING das Hexogen; das Patent zur Herstellung von Nitropenta stammt aus dem Jahre 191 2. Neben den am meisten verwendeten Sprengstoffen TN T und Hexogen gewinnt in den letzten Jahren das Oktogen wegen seines gegenüber dem Hexogen größeren Energieinhalts je Volumeneinheit an Bedeutung. Die Entdeckung der klassischen Explosivstoffe, deren Wirkung auf dem Freisetzen chemischer Energie beruht, hat also mit dem Beginn dieses Jahrhunderts einen gewissen Abschluß gefunden. Der Beginn einer neuen waffentechnischen „Ä ra ", zumindest vergleichbar mit der ersten ballistischen Anwendung des Schwarzpulvers und den geschichtlichen Konsequenzen daraus, wurde gesetzt mit der Zündung der ersten Atombombe im Sommer 1945 in New Mexico, USA. Dieses technische Ereignis wurde ermöglicht durch die Forschungsarbeiten von zwei Generationen von Kernphysikern, als deren Vertreter RUTHERFORD m it der Entdeckung der ersten künstlichen Kernreaktion 1919 und O. HAHN und F. STRASSMANN mit dem bahnbrechenden Nachweis des Uranzerfalls durch Neutronen­ bestrahlung (1938) genannt seien. 2

Betrachtet man die technische Entwicklung militärischen Gerätes seit 1945, so ist unter dem Aspekt der Explosivstoffe festzustellen: Atomare und klassische Waffen bestehen nebeneinander. (Nach modernen strategischen Konzeptionen liegt hier eine bewußte Ergänzung vor.) Für den Antrieb auch von Trägern atomarer Gefechtsköpfe werden weiterhin chemische Treibstoffe verwendet. Selbst bei den großen Interkontinentalraketen wäre ein Atomreaktor als Quelle der Antriebsenergie heute noch nicht praktikabel. Die klassischen Explosivstoffe werden in ihren chemischen und physikalischen Eigenschaften intensiv erforscht und, soweit möglich, weiterentwickelt, um eine optimale Auslegung und Leistungssteige­ rung neuer Waffen zu ermöglichen. Nach diesem kurzen historischen Überblick noch einige allgemeine Bemerkungen. Die Explosivstoffe zeichnen sich gegenüber den üblichen Brennstoffen wie Kohle, Erdölprodukten und Holz dadurch aus, daß sie den Oxidator bereits in gebundener Form enthalten. Daher ist die Energieabgabe je Masseneinheit (Explosionswärme) beim Explosivstoff m it rd. 5 • 103 kJ/ kg erheblich geringer als beim Brennstoff (43 ■103 kJ/kg für Benzin), der den Sauerstoff aus der Atmosphäre nimmt. Andererseits jedoch, und das ist die entscheidende Eigenschaft der Explosivstoffe, werden durch den chemisch gebundenen und feinstverteilten Sauerstoff unter Einschluß oder durch Selbstverdämmung sehr große Abbrandgeschwin­ digkeiten erreicht, die kurzseitig zu extrem hohen Energiedichten (Drücken) führen. Hierzu hat STETTBACHER [1) ein sehr instruktives angegeben, das hier in modifizierter Form zitiert wird:

Beispiel

Eine Masse von 2500 kg eines Sprengstoffes m it der Explosionswärme Qex = 6700 kJ/kg detoniert in 500 ßs. Dabei wird eine Energie von 2500 • 6700 = 16,75 • 106 kJ = 4650 kWh frei. Die Weltproduktion an Energie im Jahre 1966 betrug 3,5- 1012 kWh. Damit könnte die Energie der betrachteten Ladung 7 ,5 3 -1 0 8 mal im Jahr erzeugt werden. Die von der Sprengladung abgegebene Leistung ist nun 4650 x 3600 : 5 ■10“ 4 = 3,35 ■ 1010 kW. Die gesamte Kraftwerks­ kapazität der Welt belief sich bei 360 Betriebstagen zu 24 h auf 4,05 ■108 kW, d.h., es wäre für die gleiche Leistungsabgabe wie bei der detonierenden Sprengstoffladung das 82,7fache der 1966 erzeugten Weltenergie Produktion erforderlich. Die Unterscheidung der Explosivstoffe in die beiden Hauptgruppen Treibstoffe und Sprengstoffe ist weniger grundsätzlicher A rt; sie erfolgt

3

nach den Bereichen der Abbrandgeschwindigkeit, für welche die verschiedenen Verbindungen oder Gemenge sich vorzugsweise eignen. Als Geschützpulver verwendete Explosivstoffe setzen sich je nach Explosionswärme mit starker Druckabhängigkeit und linearen Abbrand­ geschwindigkeiten von 10 bis 1000 mm/s (20 bar < p < 4000 bar) um. Die Detonationsgeschwindigkeiten von Sprengstoffen liegen bei 2 bis fast 9 km/s, also bis zu sechs Größenordnungen höher. Die exotherme Umsetzung der Explosivstoffe und Treibstoffe erfolgt durch chemische Reaktion, d.h. Änderungen im Zustand der Elektronenhülle der beteiligten Atome. Diese Zerfalls- bzw. Umset­ zungsreaktionen laufen im aktivierten Zustand über Atome, Molekül­ bruchstücke, Ionen und Radikale zu stabilen Endprodukten. Die maximalen Verbrennungswärmen chemischer Brennstoff-OxidatorMischungen für Geschoß- und Raketenantriebe liegen bei knapp 25000 kJ/kg (Be + ( 0 2 - BeO + 23950 kJ/kg; H2 + j F2 » HF + 13500 kJ/kg. Die maximal überhaupt auftretende ,,chemische” Wärmetönung wäre die Rekombinationswärme des Wasserstoffmoleküls aus seinen Atomen 2 H ^ H, m it 216000 kJ/kg. Dieser Betrag ist die theoretische und praktische Grenze für die Energieabgabe bei chemischen Reaktio­ nen |2], [3], |4|, |5|. Die in einer atomaren (besser: nuklearen) Sprengladung freigesetzten Energien entstehen durch Vorgänge im Atomkern. Da die Wechsel­ wirkungskräfte zwischen den Nukleonen (Elementarteilchen, die den Atomkern aufbauen) im Nahbereich wesentlich größer sind als die Coulomb-Kräfte zwischen der Elektronenhülle und dem Atomkern, hat die bei Kernreaktionen mögliche Wärmetönung so gigantisch hohe Werte. Exotherme Kernreaktionen sind der Zerfall von Kernen hoher Ordnungszahl (Uran-/Plutoniumbombe) und die Verschmelzung von Kernen niedriger Ordnungszahl (Wasserstoffbombe). Bei der Spaltung von Uran treten 7,1 ■ 10'" kJ/kg und bei der Verschmelzung von J ä + , D2^ 2He4 + n gleich 34,3 • 1010 kJ/kg auf (T = Tritium , D = Deuterium, He = Helium, n = Neutron) [4], Der Energieinhalt von nuklearen Gefechtsköpfen wird als Äquivalenz­ masse an TNT angegeben. Interkontinentalraketen tragen heute Gefechtsköpfe entsprechend etwa 50 Megatonnen TNT. Die nachfolgenden Abschnitte behandeln in den gebotenen Grenzen hinsichtlich der Ausführlichkeit die chemischen Explosivstoffe. Ein weiteres Eingehen auf die nuklearen Sprengladungen gehört nicht in den Rahmen dieses Taschenbuches, der durch die konventionelle Waffentechnik abgesteckt ist. Für weitere Einzelheiten zu den Nuklearwaffen, insbesondere deren Wirkung, wird auf das Buch ,,The Effects of Nuclear Weapons” 133) verwiesen.

4

1.2.

Einteilung explosiver Stoffe [6] [7]

Explosive oder explosionsfähige Stoffe werden nach einem Vorschlag der Bundesanstalt für Materialprüfung (BAM), Berlin, gemäß dem in Bild 101 dargestellten Schema eingeteilt.

Bild 101.

Einteilung der explosionsfähigen Stoffe.

Die einzelnen Stoffgruppen und Untergruppen umfassen: Unter Sprengstoffe, Einheitliche Sprengstoffe a) Nitroglycerin, Nitropenta, Nitromannit Salpetersäureester : G lykoldinitrat b) Nitrokörper Pikrinsäure, Trinitrotoluol c) Nitramin : Hexogen, Oktogen d) Nitrosamin : Trimethylentrinitrosamin e) Salze : Ammoniumpikrat Unter Sprengstoffe, Sprengstoffmischungen Schwarzpulver Nitrog lycerinsprengstoff Ammonsalpetersprengstoff Chloratsprengstoff F lüssigluftsprengstoff Unter Initialsprengstoffe Knallquecksilber Bleiazid Bleitrinitroresorcinat Diazodinitrophenol Silberfulminat Chlorat-Phosphor-Salz

5

Unter Pulver (rauchschwach) a) m it flüchtigem Lösungsmittel hergestellt: Nitrocellulosepulver b) ohne Lösungsmittel hergestellt (POL-Pulver): Nitroglycerin- oder Diglycolpulver c) POL-Pulver m it kristallinen Nitroverbindungen: Nitroguanidinpulver, Guanidinnitratpulver Unter Pyrotechnischen Sätzen Leucht- und Signalsätze Knallsätze T reibsätze Pfeifsätze Rauch-, Nebel- und Gassätze Blitzlichtsätze Zu den nicht als Explosivstoff chemischen Industrie gehören:

hergestellten

Erzeugnissen

der

Ammonsalpeter für Düngesalze — Nitrokörper, anorganische Nitrat- und Chloratmischungen für Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungs­ mittel — Azonitril, Sulfohydrazide und Dinitrosopentamethylentetramin in Blähmitteln für die Kunststoff- und Gummiindusfrie — Organisches Per- und Hydroperoxid als Polymerisationskatalysator in der Kunststoffindustrie — Nitrokörper und Salpetersäureester für pharmazeutische Mittel — Azo- und Diazoverbindungen in Bleich- und Waschmitteln — Nitrocellulose für Nitrolack, N itrofilm und Nitroseide — Explosive Gase wie Acetylen, Chlordioxid u.a. Nicht als Explosivstoff hergestellte Präparate und dgl. umfassen: Ammoniumbromat — Ammoniumchlorat — Am m onium nitrit — Azidoamin-chromsalze — Ätherperoxid — Äthylenozonid — Bleibromat-bleiacetat — Bleitetraacetat — Calciumazid — Chlorheptoxid — Chlorstickstoff — Dijodacetylen — Halogenazide — Halogenisierte Kohlenwasserstoffe mit Alkali-oder Erdalkalimetallen — Hydrazinnitrat — Jodstickstoff — Knallgold — Knallplatin — Knallsilber Ag3N — Manganheptoxid — Metallpikrate — Metallsalze des Hydrazins — Natriumnitromethan — Organische Chlorate und Perchlorate — Perchlorsäure 100%ig — Quecksilberoxalat — Quecksilberoxinid — Schwefelstickstoff - Silberchlorat — Silberoxalat — Silberpersulfat — Strontiumazid — Zinkchlorat u.a.

6

E x p lo s iv e G e g e n s t ä n d e

B ild 102.

Einteilung der explosiven Gegenstände.

Die Unterteilung der aus Explosivstoffen hergestellten Gegenstände ist in Bild 102 angegeben. Zu den einzelnen Gruppen zählen: Unter Sprengmittel a) Pulversprengmittel: Sprengpulver, Sprengsalpeter b) Brisante Gesteinsprengmittel: Dynamit, Sprenggelatine, Ammonit, Donarit, Ammon-Gelit, Cloratit, O xyliquit c) Wettersprengmittel: Wetter-Nobelit, Wetter-Wasagit, WetterDetonit, Wetter-Westfalit, Wetter-Astralit, Wetter-Bicarbit, WetterSalit d) Brunnenpatronen: Trinitrotoluol-Hexogen Gelit, Triamin, Seismo-Gelit, Seismotolit

(Trixogen), Ammon-

Unter Zündmittel a) Sprengkräftige: Sprengkapseln, elektrische Zünder m it Spreng­ kapsel, Sprengschnur b) Nicht sprengkräftige: Elektrische Zünder ohne Sprengkapsel, Pulverzündschnur und Anzünder, Anzündlitze, Anzündhütchen Außerdem: Sprengniete, Flobertmunition, Zündblättchen, Knallkorken, Knallziehbänder Unter Schießmittel Patronen für Handfeuerwaffen Patronen für Leucht- und Signalmunition Kartuschen für Schußapparate zu technischen Zwecken Raketen

7

Unter Pyrotechnische Gegenstände Feuerwerksspiel waren Kleinfeuerwerk Gartenfeuerwerk Pyrotechnische Gegenstände für technische Zwecke Gro ßfeuerwerk Unter Pyrotechnische Zündmittel Stoppine, Zündschnur Unter Zündware Zündhölzer

1.3.

Pulver

Wie in der Einleitung ausgeführt, dienen Pulver, also chemische Treibstoffe, zum Antrieb von Projektilen, die ihrerseits einen W irkteil in das vorgesehene Ziel transportieren. Diese Projektile können vorliegen als Geschosse, die in einem Waffenrohr beschleunigt werden und dann — bedingt durch die Anfangsgeschwindigkeit nach Verlassen des Rohres — ohne Antrieb fliegen, oder als Raketen, die auf einem Teil oder der gesamten Länge der Flugbahn einen Antrieb erfahren. Bei den nachbe­ schleunigten Geschossen liegt eine Kombination von Antrieb im Rohr und Raketenantrieb vor. Mit Hinblick auf Unterschiede in der chemischen Zusammensetzung, auf teilweise andere Aggregatzustände und andere Herstellverfahren unterscheidet man zwischen Geschützpulvern und Raketentreibstoffen.

1.3.1.

Geschützpulver

1.3.1.1.

Nitrocellulosepulver

Bei der Munition für Infanteriewaffen und für automatische Kanonen, aber auch für großkalibrige Waffen finden einbasige Pulver, die aus Nitrocellulose mit geringen Zusätzen bestehen, weite Anwendung. Diese Pulver werden als Nitrocellulose- oder Nc-Pulver bezeichnet. Nitrocellulose ist ein Nitratester der Cellulose. Sie entsteht durch Einwirken von Nitriersäure (Salpetersäure und Schwefelsäure) auf Baumwolle oder Holzzellstoff. Die Bruttoformel lautet bei vollständiger Nitrierung [C6H ,0 2 (o n o 2 )31n. 8

Der Grad der Nitrierung wird durch den Stickstoffgehalt angegeben. Aus der vorstehenden Bruttoformel ergäbe sich ein Stickstoffgehalt von 14,14%; praktisch erreicht wird ein Stickstoffgehalt von etwa 13,4 %. Für die Pulverherstellung werden Schießbaumwolle mit 13,0 bis 13,4% Stickstoff und Kollodiumwolle mit 12,0 bis 12,6% Stickstoff verwendet. Der Prozeß der Pulverherstellung [8 ] verläuft so, daß die Nitrocellulose zunächst mit einem flüchtigen Lösungsmittel, im allgemeinen einer Äther-Alkohol-Mischung, gelatiniert und das Gel dann zu Strängen der gewünschten Querschnittsgeometrie gepreßt wird. Die Stränge werden auf eine einheitliche Länge (z.B. als Röhren- oder Schnittpulver) geschnitten. Anschließend wird das Lösungsmittel verdampft; dabei tritt eine erhebliche Schrumpfung ein, so daß erst nach vollständigem A ustritt des Lösungsmittels die endgültige Wandstärke vorliegt. Der Pulverstrang hat also beim Verlassen der Pulverpresse eine größere Wandstärke als nach dem Abschluß des Herstellungsprozesses, wonach erst die ballistisch effektive Wandstärke vorliegt. Daher gehört zur Bemessung der Preßmatrizen viel Erfahrung. Der Nitrocellulose werden Stabilisatoren wie Akardit oder Zentralit zugesetzt, die gleichzeitig die Gelatinierung fördern. Die Wirkung der Stabilisatoren beruht darauf, daß freiwerdende nitrose Gase, die autokatalytisch auf die Zersetzung wirken würden, gebunden werden. Zur Beeinflussung der linearen Abbrandgeschwindigkeit, um z.B. einen progressiven Abbrand zu erreichen, werden Nc-Pulver oberflächenbe­ handelt. Die Oberflächenbehandlung besteht darin, daß man Substan­ zen mit geringem Dampfdruck wie Arkadit, Zentralit, Diphenylamin, Dibutylphthalat oder Kampfer in das Pulverkorn eindiffundieren läßt. Diese Zusatzstoffe führen in den äußeren Schichten zu einer Reduzierung der Explosionswärme und damit der linearen Abbrand­ geschwindigkeit. Um elektrostatische Aufladungen zu vermeiden und um das Schüttgewicht zu erhöhen, bringt man auf die Oberfläche von Nc-Pulvern Graphit auf.

1.3.1.2.

Pulver ohne Lösungsmittel

Bei Pulvern ohne Lösungsmittel zweibasige und dreibasige Pulver.

1.3.1.2.1.

(POL-Pulver)

unterscheidet man

Zweibasige Pulver

Nitrocellulose läßt sich mit den wenig flüchtigen Nitroglycerin und D iglykoldinitrat gelatinieren.

Flüssigkeiten 9

Die Strukturformel dieser Substanzen ist: CH, — 0 — NO, 1 —0 — N 0 2 CH

11 Nitroglycerin

CH2 - 0 - N 0 2 CH2 -

0 -

no2

| Diglykoldinitrat CH2 -

0 -

N 02

Die Herstellung erfolgt bei Nitroglycerinpulvern in der Weise, daß die Nitrocellulose im Wasser aufgeschwemmt und dann das Nitroglycerin unter Rühren der Suspension zugegeben wird. Dabei wird das Nitroglycerin von der Nitrocellulose absorbiert. Nachdem das Wasser abgeschieden wurde, erfolgt eine Durchgelatinierung durch wiederholte Bearbeitung in Walzen oder Schneckenpressen. (In den USA und England wird teilweise die Gelatinierung über das flüchtige Lösungs­ mittel Aceton vorgenommen.) Die weitere Formgebung des Gels zum Pulverkorn erfolgt bei erhöhter Temperatur in Strangpressen oder Walzen. Mit Nitroglycerinpulvern werden bei Nitroglyceringehalten von 25 bis 50% Explosionswärmen von 2900 bis 5200 kJ/kg erreicht, wobei für niedrige Explosionswärmen Nitrocellulose mit geringem Stickstoff­ gehalt verwendet wird. Wenn man die Nitrocellulose mit D iglykoldinitrat gelatiniert, entstehen die sogenannten ,,kalten" Pulver, die sich durch eine geringe Explosionswärme und damit eine geringe Explosionstemperatur auszeichnen. Auf diese Weise wird der Rohrverschleiß erheblich gemindert. Da andererseits jedoch das spezifische Gasvolumen höher ist als bei Nitrocellulose- oder Nitroglycerinpulvern, kann mit D ig ly ko Id initratpulvern noch eine ausreichende ballistische Leistung erreicht werden.

1.3.1.2.2.

Dreibasige Pulver

Wird Diglykoldinitratpulver als dritte Komponente Nitroguanidin zugefügt, erhält man das Nitroguanidinpulver,das ebenfalls ein „kaltes" Pulver ist. 10

Nitroguanidin formel:

ist ein kristalliner Feststoff mit folgender S truktur­ NH. NH NHNO,

Der Gehalt an Nitroguanidin in Pulvern variiert zwischen 25 und 50 %. Kalte Pulver wurden in Deutschland während des Zweiten Weltkrieges entwickelt. Wegen der verminderten Rohrerosion des Nitroguanidins im Verein mit Diglykoldinitrat wird Nitroguanidinpulver heute wieder für Panzer- und Artilleriem unition verwendet. Ein weiteres dreibasiges Pulver, das Ammonpulver, hat keine praktische Bedeutung erlangt. Dabei handelt es sich um ein POL-Pulver, in das bis zu 55% Ammonnitrat (NH4 N 0 3) eingearbeitet wurde. Der Nachteil der Ammonpulver besteht insbesondere in der starken Hygroskopizität.

1.3.2.

Raketentreibstoffe 1^

Die Raketentreibstoffe |3|, (4| werden nach ihrem Aggregatzustand wie folgt unterteilt: Flüssigtreibstoffe, bei denen der einheitliche Treibstoff oder Brennstoff und der Oxidator als getrennte Flüssigkeiten in Tanks lagern, aus denen sie in die Brennkammer gefördert werden. Festtreibstoffe, bei denen der Treibstoff als einheitliche Substanz oder als Gemenge von Substanzen in fester Form mit definierter Oberfläche in der Brennkammer angeordnet ist. Lithergole (hybride Treibstoffe), bei denen der Brennstoff (normaler Typ) oder der Oxidator (inverser Typ) in fester Form in der Brenn­ kammer vorliegt und der Oxidator bzw.der Brennstoff in flüssiger Form aus einem Tank der Brennkammer zugeführt wird.

1.3.2.1.

Flüssigtreibstoffe

Bei den Flüssigtreibstoffen ist zunächst die Gruppe der Monergo/e zu nennen. Man unterscheidet einfache und zusammengesetzte Monergole;

1) Vgl. 2 .3 , I n n e r e B a l l i s t i k d e r R a k e t e n .

11

bei den einfachen handelt es sich um chemisch reine Einzelstoffe, bei den zusammengesetzten um abgemischte Treibstoffe, die aus meist zwei Komponenten bestehen und lagerfähig sind. Bei Zuführung von Zündenergie zerfallen die Monergole spontan und setzen sich exotherm in gasförmige Reaktionsprodukte um. Beispiele für Monergole gibt die Tabelle 101 an, deren Daten aus DADIEU-DAMM-SCHMIDT [4] entnommen wurden. S u b s ta n z

Chem ische Zusam m ensetzung

N itrom ethan H ydrazin H ydra zin /H yd ra zin n itra t Ä th yle n o xid

CH, NO,

T e t ran i t r o m e t h a n W a sse rsto ffp e ro xid

2h 4 N 2H 4 +30% N 2 HsN 0 3 n

S p e z if is c h e r I m p u l s ls(m/s) 2500 1950

c

2h „

o

2160 1950

c

(n

2)4

1780

o

H2°:

1620

Tabelle 101. Monergoltreibstoffe.

Die Monergole haben, abgesehen vom Nitromethan und Mischungen von Hydrazin mit Hydrazinmononitrat, einen vergleichsweise geringen spezifischen Impuls, der das Kriterium für die ballistische Leistung der Treibstoffe ist (s. Innere Ballistik der Raketen, 2.3.3, S. 120). Die in der Tabelle 101 angegebenen Werte sind theoretische Gleichgewichts­ werte. Da Nitromethan sehr explosionsempfindlich ist, kann es in reiner Form in der Raketentechnik nicht verwendet werden. (Die Anwendung des Systems Hydrazin/Hydrazinnitrat wird untersucht.) Die übrigen angegebenen Monergole, vor allem Hydrazin und Wasserstoffperoxid, finden für Steuer- und Hilfsantriebe Verwendung. Diergole sind solche Treibstoffe, bei denen Brennstoff und Oxidator der Brennkammer getrennt zugeführt werden. Als Brennstoffe werden Wasserstoff, Kohlenwasserstoffe, Hydrazin und Hydrazinderivate, Amide, Ammoniak, Alkohole und Borane verwendet. Die wichtigsten Oxidatoren sind Sauerstoff, Fluor, Salpetersäure, Stickoxide, Wasserstoffperoxid, Sauerstoffdifluorid. In der Tabelle 102 sind die chemische Zusammensetzung und die Siedetemperatur Ts von einheitlichen flüssigen Raketenbrennstoffen angegeben.

12

B rennstoff

C hemische Zusam m ensetzung

S iedetem peratur T g (°C)

W a s s e r s to ff K e r o s i n ( R P —1)

H2

_

M ethan Ä th y le n

c h c

H ydrazin

n

M o n o m e th y lh y d ra z in (M M H )

c h

U nsym m etrisches D im e th y lh y d ra z in (U D M H )

( C H jljN N H ,

A n ilin

c

D iä th y le n tria m in (D ETA) A m m o n ia k

h2 n c h 2c h 2 n h c h 2c h 2n h 2

+

C 11 , 7 H 2 1 , 8

Ä th y la lk o h o l D ib o r a n Pentaboran

b

-

2h 4 2h 4 3n

6h

n h c

4

-

n h

sn h

+ +

2

2

3

2 h 5o , h6

h

B5 H9

252,8 1 4 0 bis + 2 5 0 161,7 103,5 1 1 3, 5 87,5

+

63

+ +

184,4 207

-

33,4

+ -

78,4 92,5

+

60,1

Tabelle 102. Einheitliche flüssige Raketenbrennstoffe. Die Brennstoffe nach Tabelle 102 werden allein oder in Mischungen eingesetzt. Wichtige gemischte flüssige Brennstoffe sind: Aerozin 50 Hydyne

(50 % UDMH + 50 % Hydrazin) (60 % UDMH + 40 % DETA).

Die technisch bedeutsamen Oxidatoren zusammengestellt. O xid a to r

sind in der Tabelle 103

C hemische Zusam m ensetzung

S ied e te m p era tu r T g (°C )

Sauerstoff

_

F lu or



S a l p e te r s ä u r e D i s t i c k s t o f f t e t r o x id

3

183 188 84 21,1

n

204

+ +

W a sse rsto ffp e ro xid

h

2o 2 2

+

150

S a u e rs to ffd iflu o rid

o f

-

145,3

h n o

Tabelle 103. Flüssige Oxidatoren.

13

Die mit verschiedenen Kombinationen von Brennstoff und Oxidator erreichten spezifischen Impulse ergeben sich aus der Tabelle 104.

B rennstoff

W a s s e r s to ff K e r o s i n RP —1 H ydrazin MMH UDMH A e rozin H y d y ne D ib o ra n Pentaboran A m m o n ia k Ä th y la lk o h o l

S p e z if is c h e I m p i jlse l g ( m /s ) h n o 3| 1 o f 2 ° 2 3830 2950 3070 3060

n

2o „

4020

4020





3200 3570

3420

2580

3380 3420

2730 2740

2710 2850

3440 —

2710

3390

3040 3060 —

3360 — —

3370

3640

3140 2890 2810

3530 3520 3240

2740

2820 2800 2820 —

3410 —







3530



2970

3300 —

2640 —

* D ie e i n g e k l a m m e r t e n W e r t e b e z i e h e n si ch a u f r o t r a u c h e n d e S a lp e te r s ä u r e H N 0 3 + 1 5 % N 0 2 .

Tabelle 104. Spezifische Impulse von Brennstoff/OxidatorKombinationen. Aus der Tabelle 104 ist zu erkennen, daß mit Fluor, Sauerstoff und Sauerstoffdifluorid als Oxidatoren die größten spezifischen Impulse erreicht werden, während die spezifischen Impulse mit Salpetersäure und Distickstofftetroxid wesentlich niedriger liegen. Der höchste für solche Systeme in der Literatur angegebene spezifische Impuls liegt bei 4480 m/s für das System H2— Be/02. Die während des Zweiten Weltkrieges in Peenemünde von Wernher von Braun entwickelte A 4 (V2) verwendete als Treibstoff die Kombination Äthylalkohol (75 %)/02 (f I). Die Treibstoffpumpen wurden mit Wasserstoffperoxid angetrieben. Die amerikanische Mondrakete Saturn 5 verwendet in den Triebwerken F 1 der 1. Stufe die Treibstoffkombi­ nation Kerosin/02 (fl) und in den Triebwerken l 2 der 2. und 3. Stufe H2 (fI)/0 j (fl). Diese Treibstoffkombinationen bezeichnet man als Kryogene, weil zumindest eine Komponente nur bei tiefen Temperaturen als Flüssigkeit vorliegt (s. Tabellen 102 und 103). Treibstoffkombinationen, die bei Raumtemperatur in flüssigem Aggregatzustand vorliegen, werden lagerfähig (storable) genannt. Lagerfähige Treibstoffkombinationen haben insbesondere für mittlere militärische Raketen Bedeutung, die nicht erst vor dem Einsatz aufgetankt werden sollen, sondern bei denen die aufgetankte Rakete ohne Versorgungssystem sofort einsatzbereit ist

14

(pre-package). Hier liegt die besondere Bedeutung von Salpetersäure/ Stickoxid-Mischungen als Oxidator. Hinsichtlich der Zusammenstellung von Treibstoffkombinationen ist das Zündverhalten von großer Wichtigkeit. Eine Reihe von Oxidatoren und Brennstoffen entzünden sich bei Kontakten spontan; dieses Verhalten wird als Hypergolität bezeichnet. Teilweise können hypergole Kombinationen auch durch Zugabe von Katalysatoren entstehen. In der Tabelle 105 ist das Zündverhalten verschiedener Treibstoff­ kombinationen zusammenstellt. O = hypergol

□ = hypergol m it K atalysator

X = n ic h th yp e rgo l

^ ^ » ^ O x id a to r 0 2f l .

F 2 fl.

X X X X X X X X

O

h

2 o2

hn o

3

n

2 04

Clf=3

B rennstoff A m m o n ia k A n ilin Ä thanol H ydrazin K e r o s i n RP —1 H 2 f I. MM H UDMH

o o o o o o o

X X □ □ X X X X



□ □ X

X

o

o

X X

X X

o o

o o

o

o o o o o o o o

Tabelle 105. Zündverhalten von Treibstoffkombihationen. Nichthypergole Kombinationen werden entweder pyrotechnisch oder durch einen hypergolen „V o rla u f" gezündet.

1.3.2.2.

Festtreibstoffe

Man unterscheidet homogene Treibstoffe, bei denen der Sauerstoff und der Brennstoff in einer Verbindung enthalten sind, und heterogene Treibstoffe oder „Composite", die aus einem Gemisch zumindest zweier Verbindungen, dem Brennstoff und dem Oxidator, bestehen. Die homogenen Treibstoffe sind auf der Basis der Nitrocellulose aufgebaut, die mit Diglykolnitrat oder Nitroglycerin gelatiniert ist (s. zweibasige Pulver, 1.3.1.2.1.); hauptsächlich wird Nitroglycerin als

15

zweite Komponente verwendet. Ferner enthalten die homogenen Treibstoffe Zusätze zur Stabilisierung und zur leichteren Verarbeitung, wie teilweise von den Geschützpulvern her bekannt ist. Ihre Herstellung erfolgt ebenfalls ähnlich den entsprechenden Geschützpulvern. Die endgültige Form wird durch Strangpressen in geheizten Extrudern, Nachbearbeiten und Isolieren erzeugt. Beim heterogenen Festtreibstoff ist der (feinkristalline) Oxidator in einem Kunststoffbinder gleichmäßig verteilt. Als Oxidatoren werden folgende Nitrate und Perchlorate verwendet: Lithium nitrat Natirumnitrat Kaliumnitrat Ammoniumnitrat Lithiumperchlorat Natriumperchlorat Kaliumperchlorat Ammoniumperchlorat

L iN 0 3 NaNOj KNO j NH4N 0 3 LiCIO„ NaCI 0 4 KCI04 n h 4 c io ,

Der Sauerstoffüberschuß dieser Verbindungen rangiert zwischen 20 Gewichtsprozent beim Ammoniumnitrat und 60 Gewichtsprozent beim Lithiumperchlorat. Neuerdings wird auch die Verwendung von Nitroniumperchlorat (NO2CI04) m it 66 Gewichtsprozent Sauerstoff­ überschuß studiert. Am m oniumnitrat als Oxidator führt zu einem gasreichen Treibstoff mit vergleichsweise geringer Verbrennungstemperatur. Die lineare Abbrand­ geschwindigkeit ist gering, ebenso der spezifische Impuls. Kaliumperchlorat führt ebenso zu einem geringen spezifischen Impuls, jedoch ist die lineare Abbrandgeschwindigkeit sehr hoch, so daß sich Kaliumperchlorat-Composite für Starttriebwerke gut eignen. Ammoniumperchlorat liefert vergleichsweise hohe spezifische Impulse bis zu 2450 m/s. Die lineare Abbrandgeschwindigkeit liegt im mittleren Bereich, wobei die Druck- und Temperaturabhängigkeit geringer ist als bei anderen Oxidatoren Als Binder werden eingesetzt: Asphalt (mit K C I04 für Starthilferaketen): Asphaltcomposite haben geringe Leistung und sind nicht formstabil. Polyisobutylen (mit Ammoniumperchlorat); es hat eine höhere Leistung, aber keine Formstabilität. Polyvinylchlorid (mit Ammoniumperchlorat); es hat eine hohe Leistung; wegen großer Schrumpfung ist eine Gehäusebindung (case bonding) nur bei kleinen Abmessungen möglich.

16

Celluloseacetat (mit Ammoniumnitrat); es entwickelt große Gas­ mengen mit geringer Temperatur, daher zur Verwendung in Gasgeneratoren geeignet. Polysulfid (mit Ammoniumperchlorat); da ein großer Füllgrad (80 %) möglich ist, ergibt sich eine hohe Leistung; es ist gummielastisch. Polysulfid-Composite werden auch alsThiokole bezeichnet. Polyurethan (mit Ammoniumperchlorat) hat eine sehr hohe Leistung. Polybutadien —Acrylsäure-Polymere besitzen eine sehr hohe Leistung und gute physikalische Eigenschaften. Treibstoffe mit Polyvenylchlorid (PVC) und Celluloseacetat werden auch als Plastisole bezeichnet. Zur weiteren Erhöhung des spezifischen Impulses werden den Festtreibstoffen Leichtmetallpulver (AI, Mg) oder Bor bzw. Metall­ hydride zugegeben. Zur Beeinflussung der linearen Abbrandgeschwindigkeit fügt man als ballistische Zusätze Katalysatoren wie Kupfer- oder Chromoxid zu (Plateau- und Mesaeffekt). Die Abbrandgeschwindigkeit von heterogenen Festtreibstoffen wird durch die Korngröße der Oxidatoren entscheidend beeinflußt. Die Composite werden nach dem Gieß- oder Preßverfahren zu Treibsätzen verarbeitet, die dann nach teilweiser Isolation der Oberfläche in die Brennkammern eingesetzt werden. Sie können aber auch direkt in die Brennkammern eingegossen werden, wobei man bei Innenbrennern eine Kernmatrize verwendet, die nach dem Abbinden des Treibstoffes herausgezogen wird.

1.3.2.3.

Lithergole

Bei lithergolen Antrieben, die auch als Hybridsysteme bezeichnet werden, finden als flüssige Oxidatoren Sauerstoff, Wasserstoffperoxid, Distickstofftetraoxid, Salpetersäure, C hlortrifluorid und Sauerstoffdifluorid Verwendung. Als feste Brennstoffe werden vor allem Kohlenwasserstoffe [(CH2)n), z.T. m it Leichtmetallzusätzen eingesetzt. Die besonderen Probleme der lithergolen Antriebe liegen in der Abstimmung der Strömungsverhältnisse in der Brennkammer, da der Oxidator über die Oberfläche des festen Brennstoffes hinwegströmt und dabei eine optimale Umsetzung erreicht werden soll.

17

1.3 .3.

Thermochemie

Die bei der Umsetzung eines Pulvers entstehende Explosionswärme, Explosionstemperatur, Schwadenzusammensetzung und das Gasvolu­ men lassen sich mit Hilfe der Methoden der Thermochemie prinzipiell beliebig genau berechnen. Die grundsätzlichen Überlegungen hierzu seien im folgenden kurz Umrissen: Bei der Umsetzung eines Nc- oder POL-Pulvers der Bruttoformel CaHbNcOd entstehen vornehmlich die Umsetzungsprodukte C 02, CO, H jO , H2 und N2. Daneben treten Radikale wie H, OH, NO u.a. in verschiedenen Anregungszuständen auf. Nachreaktionen in Schwaden können insbesondere bei den „ka lte n " Pulvern zur Entstehung von C, NH3 und CH4 führen. Die Berechnung geht zunächst von den fünf Hauptreaktionsprodukten aus [9], Zwischen C 02, CO, H20 und H2 ist eine Austauschreaktion bekannt, die Wassergasreaktion: c o 2 + H2 n CO +

h 2o .

Die Konzentration [ ] oder der Partialdruck der an der Wassergas­ reaktion beteiligten Reaktionspartner wird durch das Massenwirkungs­ gesetz kontrolliert:

[Cpl[H,Ol T O

IH 2]

: k (T).

( 1)

k(T) ist eine nur von der Temperatur T abhängige Größe, die für das Wassergasgleichgewicht tabelliert vorliegt. Außerdem sind die Molzahlen der Atome des Treibstoffes mit der Bruttozusammensetzung CaHbNcOcj und der Reaktionsprodukte gleich: IC] IH] [O]

[CO] + [C 0 2 ] 2 [H O ] + 2 | H ] IC O ]+ 2 [C 0 2 ] + [H 2d ]

= a, = b. = d.

(2) (3) (4)

Die Gleichungen (1) bis (4) stellen ein Gleichungssystem mit den molaren Konzentrationen der vier Reaktionspartner dar, das sich mit k(T) als temperaturabhängiger Größe lösen läßt, wobei hier T = Tex die Explosionstemperatur ist. Die Explosionstemperatur ist nun selbst wieder von der Lösung des Systems nach Gleichungen (1) bis (4) abhängig. Es gilt nämlich für Tex:

18

Qex = Q b g - Q b p = cvG T ex - cvP T 0.

(5)

Darin bedeuten: Qex Q bg Q bp CvP To

c vG

v*

= Explosionswärme, = Bildungswärme der Puivergase, = Bildungswärme des Pulvers, = spezifische Wärme des Pulvers, = Umgebungstemperatur des unverbrannten Pulvers.

ist die mittlere spezifische Wärme der Pulvergase: c vG

? P j cvG i =

-- --------------- .

(6)

-Pi

wobei pj die Partialdrücke und c v G i die molaren Wärmen der Reaktionsprodukte (hier C 02, CO, H20, H2 und N2) bedeuten. Die Werte von c VG i sind auch wieder temperaturabhängig; sie liegen ebenfalls in tabellierter Form für eine große Zahl von Gasen vor. Die Bildungswärme der Pulvergase berechnet sich aus den Konzentra­ tionen der einzelnen im Gas enthaltenen Moleküle und deren Bildungswärmen, die auch tabelliert sind. In der Praxis kann man die Berechnung so durchführen, daß man zunächst das Gleichungssystem nach Gleichungen (1) bis (4) m it einer geschätzten Temperatur löst und die Lösung mit Hilfe von Gleichung (5) überprüft, um dann mit einem verbesserten Wert die Rechnung zu wiederholen, bis die Bedingung Qbg

- QBp = Qex

(7)

erfüllt ist. Das Gasvolumen ergibt sich sofort aus der Gesamtmolzahl der gasförmigen Reaktionsprodukte. Da das Auftreten von weiteren von der Explosionstemperatur abhängigen Reaktionsprodukten auch bekannt ist, kann die Rechnung durch Berücksichtigung dieser Komponenten weiter korrigiert werden. Für eine eingehendere Darstellung der thermochemischen Berechnungs­ verfahren für Pulver bzw. Raketentreibstoffe wird auf die unter [4], [9], [10] und [11] angegebene Literatur verwiesen. 19

1.3.4.

Das Abbrandverhalten der Pulver

Die Umsetzung von Treibstoffen ist ein außerordentlich komplexer physikalisch-chemischer Vorgang, dessen auch nur annähernd vollstän­ dige Darstellung den hier vorgegebenen Rahmen sprengen würde. Für ein eingehendes Studium werden u.a. insbesondere die in der Literatur unter [4] und [9 1 genannten Bücher empfohlen, worin alle wichtigen experimentellen und theoretischen Arbeiten auf diesem Gebiet behandelt werden. Wie im Kapitel 2, Innere Ballistik, dargestellt, bestimmt das Abbrandverhalten eines Treibstoffs in entscheidender Weise den Antriebsvorgang bei einem Projektil. Bei Raketentriebwerken, die mit Flüssigtreibstoffen oder mit Lithergolen arbeiten, wird die Erzeugung der heißen Verbrennungsgase, also der Abbrand, durch die Förderungs­ rate der Einspritzpumpen bestimmt; sie kann damit während des Antriebsvorganges geregelt werden. Bei Pulvern für Feststoffraketen oder für Rohrwaffen dagegen ist der Abbrandverlauf durch die Pulver­ geometrie und die übrige innenballistische Auslegung festgelegt. Für Treibsätze, die homogen oder heterogen in einer Mischung vorliegen, wird die Umsetzungsrate durch die gesamte freie Oberfläche und den thermodynamischen Zustand der Gasphase im Verbrennungs­ raum bestimmt. Die Umsetzungsrate ~ setzt sich aus der zur Zeit t freien Oberfläche des Treibstoffs S(t), seiner Dichte pc und der linearen Verbrennungsge­ schwindigkeit zusammen. Wird der Anteil der verbrannten Ladung durch m Ca - m c ( t)

z -------------------(8) mca definiert, worin mca der anfangs vorhandene und mc (t) der zur Zeit t unverbrannte Treibstoff bedeutet, dann ist dz _ _ dt

_1_ m ca

d m c (t ) pt

Außerdem gilt d m c (t) dt

= PCS ( t)

de dt ’

(

10 )

weil in der Zeiteinheit die Pulverschicht de/dt auf der gesamten momen­ tanen Oberfläche S(t) abbrennt; damit ist das verbrannte Treibstoff­ volumen Sit) de/dt, das, m it der Dichtepc des Treibstoffs m ultipliziert, zu der je Zeiteinheit verbrannten Treibstoffmasse dmc/dt führt. Da für den Verlauf des Abbrands eines Treibstoffs der Anteil der ver­ brannten Ladung z in eindeutiger Weise von der Zeit t abhängt, läßt 20

sich statt der Variablen t als unabhängige Variable auch z einführen, so daß anstatt S(t) auch S(z) geschrieben werden kann. Dann ergibt sich aus den Gleichungen (9) und (10) dz _ PcS(t) de dt ~ mca dt ‘

(11)

Gleichung (11) ist die Ausgangsgleichung für das in der inneren Balli­ stik verwendete Abbrandgesetz. Der Quotient pc S(t)/m ca stellt bis auf einem im allgemeinen konstanten Faktor die Formfunktion dar, die im Kap. 2, Innere Ballistik, näher behandelt wird. Im folgenden soll auf die lineare Verbrennungsgeschwindigkeit eingegangen werden: Stark vereinfacht lassen sich die Vorgänge an der abbrennenden Pul­ veroberfläche in drei Bereiche aufteilen, die in Bild 103 dargestellt sind. III Gasraum, R ea k tio n abg es chlossen

Bi Id 103.

II

G asförm ige Reaktionszone

I

T re ib s to ffo b e rflä c h e (fe s te o d e r flüssige Phase)

Reaktionszonen beim Pu Iverabbrand.

Der Übergang vom festen oder flüssigen Treibstoff in die gasförmige Reaktionszone sei durch die Reaktionsgeschwindigkeit v i(n charakte­ risiert; der Übergang von der gasförmigen Reaktionszone in den Gasraum, wo die Reaktionen abgeschlossen sind, soll mit der Reaktionsgeschwindigkeit v n j n ablaufen. Die Reaktionsgeschwindigkeit vj n ist durch den Wärmeübergang durch Konvektion und Strahlung auf die Treibstoffoberfläche sowie die Anre­ gungsenergie bestimmt, die z. B. bei der Nitrocellulose zur Pyrolyse der Makromoleküle, bei Composittreibstoffen zum Verdampfen bzw. Zer­ setzen des anorganischen Sauerstoffträgers erforderlich ist. Das Zer­ setzen des Binders bei Compositen ist im allgemeinen nicht geschwin­ digkeitsbestimmend. Die Reaktionsgeschwindigkeit v h j m ist von der chemischen Zusam­ mensetzung der Zwischenprodukte abhängig. Die Reaktionen in der Zone II laufen nach komplizierten Radikalmechanismen ab. Wenn die Reaktion nach der ersten Ordnung verläuft, gilt -L V ll.lll ~ p 2(12)

21

Ist eine Reaktion zweiter Ordnung geschwindigkeitsbestimmend, so ist zu erwarten, daß die Reaktionsgeschwindigkeit vi 1,111 dem Druck in der Gasphase direkt proportional ist: vil,lll

~ P-

(13)

Man kann die Theorien zur linearen Verbrennungsgeschwindigkeit in zwei Gruppen einteilen: V|,l l < v i i , i n : Oberflächentheorien, V|,ll > vi |,111 : Gasphasentheorien. Das heißt: Bei den Oberflächentheorien geht man davon aus, daß die Wärmeübertragung auf die Treibstoffoberfläche der langsamste und damit der den Abbrand kontrollierende Schritt ist. Bei der Gasphasentheorie bestimmen die Reaktionen in der Zone II den Abbrand. Als Vertreter für die Oberflächentheorie seien MURAOUR-AUNIS 1121 genannt, die den halbempirischen Ansatz de = const e' kTex — ex p + a angeben mit E0 Tex p k a

= Anregungsenergie für ein Molekül, = Explosionstemperatur, = Gasdruck = Boltzmannsche Konstante und = Beitrag der Wärmestrahlung.

Der Betrag der Größe a ist derart, daß er bei höheren Drücken (ungefähr oberhalb 1000 bar) gegenüber dem ersten Summanden in Gleichung (14), der proportional mit dem Druck zunimmt, vernachlässigt werden kann. In abgekürzter Form wird das Abbrandgesetz nach MURAOUR-AUNIS als de — =a +b p (15) geschrieben. Für Nitroglycerinpulver mit Centralit fanden MURAOUR und AUNIS entsprechend Gleichung (14) log b = Cj + c 2Tex

22

(16)

für einen großen Bereich von Nitroglycerin-Konzentrationen, der 2000 K < Tex < 4000 K entspricht, bestätigt. Daraus muß die Unabhängigkeit der Anregungsenergie Eo vom Nitroglyceringehalt bei diesem Pulvertyp gefolgert werden. Die in der gasförmigen Reaktionszone zu erwartende Reaktionsordnung ist bevorzugt die Ordnung 1. Daher führen die Gasphasentheorien im allgemeinen zu de (17) dt jedoch hängt die Reaktionsordnung und auch der Übergang vom Gasphasenmechanismus zum Oberflächenmechanismus stark vom Druck ab. So gibt CORNER [9] für ein nicht näher bezeichnetes Raketenpulver die in der Tabelle 106 genannte Druckabhängigkeit der Exponenten a im VIEILLEschen Abbrandgesetz — = ßp* dt

(18)

an.

P (bar) 130 1500

d 0,5 0,96

Tabelle 106. Druckabhängigkeit des Vieilleschen Exponenten a. Dabei ändert sich o für die Zwischenwerte des Druckes monoton. Die für praktische Rechnungen gebräuchlichen Ansätze für die lineare Verbrennungsgeschwindigkeit sind im Kap. 2, Innere Ballistik, zusam­ mengestellt. Hier sei abschließend erwähnt, daß einerseits bei Gasdrücken, wie sie in Rohrwaffen auftreten, die lineare Verbrennungsgeschwindigkeit in guter Näherung als druckproportional angesetzt werden kann, an­ dererseits ein stationärer Zustand in einem Feststoffraketenmotor nur möglich ist, wenn die lineare Verbrennungsgeschwindigkeit nicht ein­ fach proportional vom Druck abhängt [13], Tatsächlich wird beim Arbeitsdruck üblicher Raketenmotoren eine dem Druck proportionale lineare Verbrennungsgeschwindigkeit noch nicht erreicht, was auch Tabelle 106 zeigt.

23

1.3.5.

Prüfmethoden für Pulver

Die Prüfung von Geschützpulvern und Raketentreibstoffen, die stichprobenweise an jedem Fertigungslos vorgenommen wird, bezieht sich auf die chemische Zusammensetzung, die chemische Stabilität, die physikalischen Eigenschaften und das ballistische Verhalten. Die chemische Zusammensetzung [14] wird m it den üblichen Analysenmethoden festgestellt, zu denen heute auch moderne Verfahren wie die Dünnschichtchromatographie u.ä. gehören. Die technischen Lieferbedingungen schreiben hinsichtlich der chemi­ schen Zusammensetzung im allgemeinen das Messen des Gesamtgehaltes an flüchtigen Bestandteilen (Restlösungsmittel), der Pulverfeuchtigkeit (Exsikkator- oder Destillationsmethode), der Gehalte an unvergasbaren und an ätherlöslichen Bestandteilen vor. Da insbesondere Nitrocellulose und Nitroglycerin als Salpetersäüreester zur autokatalytischen Säureabspaltung neigen, sind Stabilitätstests erforderlich, bei denen die Abspaltung durch erhöhte Temperatur beschleunigt wird. Man unterscheidet zwischen Tests, die bei stark erhöhter Temperatur über Stunden bis Tage laufen, und Lebensdauer­ tests, die bei wenig erhöhter Temperatur über Jahre ausgedehnt werden können. Als zuverlässigste Prüfung gilt der Holland-Test, durch den bei + 105°C über 150 Stunden oder bei + 110°C über 72 Stunden der Gewichtsverlust des Pulvers laufend registriert wird. Daneben sind der Abel-Test, der Bergmann-Junk-Test und der Hansen-Test die wichtig­ sten Teste. Einzelheiten darüber finden sich bei KÄST und METZ [14], Als Lebensdauertest wird die Warmlagermethode angewendet, bei der im allgemeinen bei + 75°C beobachtet wird, wann gelbrote oder rotbraune Dämpfe auftreten. Zu den Prüfungen der physikalischen Eigenschaften eines Pulvers gehören die Kontrollen von Form und Abmessungen, der Dichte, des Schüttgewichts (sofern gegeben), der Druckfestigkeit, der Verpuffungs­ temperatur, der Explosionswärme und der Hygroskopizität. Die Verpuffungstemperatur wird bei Nitrocellulose- und Nitroglycerin­ pulvern dadurch festgestellt, daß man eine Probe in einem Paraffinbad mit 5°C/min aufheizt und beobachtet, bei welcher Temperatur sie sich entzündet und verpufft. Die Explosionswärme wird in der kalorimetrischen Bombe gemessen. Bei diesem Meßverfahren wird die Pulverprobe in einem geschlossenen Druckgefäß (bis 2000 bar) gezündet, das in eine Kalorimeterflüssig­

24

keit eingetaucht ist. Bei der Pulverumsetzung führt die Wärmetönung zu einer Temperaturerhöhung der Kalorimeterflüssigkeit (Wasser), die gemessen wird; unter Berücksichtigung des Wasserwertes des Kalori­ meters und des Druckgefäßes kann, dann die Explosionswärme berechnet werden. Sinnvollerweise wird die Siedetemperatur des Wassers als Kalorimeterflüssigkeit nicht überschritten; d.h.: das bei der Verbrennung entstandene Wasser liegt auch kondensiert vor; es wird der obere Heizwert gemessen. Die besondere Problematik der Bestimmung der Explosionswärme in der Kalorimeterbombe liegt darin, daß sich bei der niedrigen Endtemperatur der Kalorimetermessung ein anderes chemisches Gleichgewicht in den Schwaden einstellt als bei der Explosions­ temperatur; damit ist auch die Wärmetönung anders. Die Überprüfung des ballistischen Verhaltens von Geschützpulvern erfolgt üblicherweise durch Probeschüsse aus der Waffe mit wohldefinierten Munitionskomponenten. Dabei wird zunächst das der geforderten ballistischen Leistung entsprechende Ladungsgewicht ermittelt. Dann wird mit einer größeren Zahl von Schüssen aus einer Pulver probe der Mittelwert der Mündungsgeschwindigkeit des Geschosses und dessen Streuung, der Mittelwert des Gasdruckes (im allgemeinen mit Stauchkörpern gemessen) und der höchste aufgetretene Gasdruck sowie die Ladefähigkeit festgestellt. Für Pulverentwicklungen, z.T. aber auch bei der Fertigungs­ überwachung, wird mit großem Nutzen die manometrische Bombe zur Feststellung der ballistischen Werte benutzt. Dabei handelt es sich um ein geschlossenes Druckgefäß, in dem das Pulver bei konstantem geometrischem Verbrennungsraum umgesetzt wird. Bild T04 zeigt schematisch den Aufbau einer solchen manometrischen Bombe. Beim Arbeitsablauf mit der manometrischen Bombe wird zunächst bei geschlossenem Ventil 4 und entferntem Verschluß 2b die Pulverladung eingebracht; dann wird der Verschluß 2b eingeschraubt, an dem zuvor eine elektrische Zündpille mit einer Anfeuerungsladung über die Spannungszuführung 5 befestigt wurde. Wenn das Gefäß geschlossen ist, wird gezündet und der Druckanstieg über der Zeit mit Hilfe des Gebers 6 registriert. Nach Beendigung der Messung werden die Pulvergase über das Ventil 4 abgelassen. Einen charakteristischen Druckverlauf in der manometrischen Bombe zeigt das Bild 105.

25

Bi Id 104.

Manometrische Bombe.

1 G e f ä ß k ö r p e r ; 2a u n d 2 b s ti r n s e i t i g e Ve rs chl üs se ; 3a u n d 3 b D ic h tu n g e n ; 4 A b la ß v e n til; 5 isolierte S p a nn u n g s z u fü h ru n g fü r e le k tr i­ sche Z ü n d p i l l e ; 6 p i e z o e l e k t r i s c h e r D r u c k g e b e r .

Man erkennt zunächst einen zunehmend steiler werdenden Druckan­ stieg über der Zeit, der dann in einen horizontalen Verlauf übergeht. In diesem Übergangspunkt ist das Pulver vollständig verbrannt. Bei genauerem Hinsehen erkennt man, daß der Druck nach dem Brennschluß nicht horizontal verläuft, sondern wegen der Abkühlung der Pulvergase langsam abnimmt.

BiId 105.

26

Charakteristischer Druckverlauf in der manometrischen Bombe.

Für den nach Brennschluß erreichten maximalen Gasdruck pm in der manometrischen Bombe gilt die Abelsche Gleichung Pm -

f mc V B - t lmc '

(19)

worin f die Pulverkonstante, mc die Pulvermasse, Vg den geometrischen Verbrennungsraum und rj das Kovolumen bedeuten. Mit der Ladedichte (20)

wird daraus (

21)

Wenn man für mindestens zwei Ladedichten den maximalen Gasdruck mißt, lassen sich die Pulverparameter f und rj bestimmen. Um für f und rj einen zuverlässigen Mittelwert zu erhalten, führt man die Messung bei wesentlich mehr Werten für die Ladedichte aus, als nach Gleichung (21) erforderlich. Die Auswertung erfolgt dann anhand der umgeformten Gleichung (21): = Pm

(21a) f A

f ' 1

Trägt man aus den i Messungen p-~- über

1

auf, so erhält man als

Ausgleichskurve eine Gerade (Bild 106).

Bild 106.

Auswertung der Meßergebnisse aus der manometrischen Bombe.

11

Aus der Steigung der Geraden wird die Pulverkonstante f und aus dem negativen Ordinatenabschnitt das Kovolumen 17 bestimmt. Neben f und 17 kann aus den Druckkurven der manometrischen Bombe auch die Abbrandgeschwindigkeit dz/dt berechnet werden. Während des Abbrands gilt für den Gasdruck die Beziehung fm c z(t) p(t> = ------------------------i-------------------V B - T7mcz(tl - - mc (1 —z (t))

(22)

m it z(t) als Anteil der umgesetzten Ladung und pc als Pulverdichte, Wenn man voraussetzt, daß rj7 = 2— gilt, wird aus Gleichung (22): äis 7 ^ Pc fm r z(t) (23) p(t) = V b - T7mc oder mit Gleichung (19) p(t) = pm z (t).

(24)

Leitet man Gleichung (24) einmal nach der Zeit ab, dann erhält man f>(t) =

Pm

z (t).

Da der Pulverabbrand in allgemeiner Form durch p(t) z(t) = Ba ip(z) ----Po

(25)

(26)

beschrieben werden kann (s. Abschnitt 2.1.5.3, Der Pulverabbrand) — mit Ba als Abbrandkoeffizient und 1.

54

(4 2 )

Der Verlauf der Funktion der Gleichung (42) ist in Bild 119 graphisch dargestellt.

Sprengstof fgewicht je Geschoß

Bild 119.

Abhängigkeit der Zerstörungswahrscheinlichkeit je Treffer vom Sprengstoffgewicht je Geschoß.

Man erkennt aus Bild 119, daß pklh nach Gleichung (42) mit zunehmendem Sprengstoffgewicht dem Sättigungswert „ 1 " zustrebt. Wann diese Sättigung erreicht wird, so daß eine Steigerung des Sprengstoffgewichtes je Geschoß zum „o ve rkill" führen würde, ist bisher umstritten. Der Grund für das Fehlen verbindlicher Werte für Pklh ist in dem außerordentlich hohen Aufwand der erforderlichen Versuche zu sehen. Außerdem unterliegen solche Werte, soweit Ergeb­ nisse vorliegen, der militärischen Geheimhaltung.

1.4.6.3.

Hohlladungen

Wenn die bei der Detonation einer Sprengstoffladung freigesetzte Energie durch eine Stoßwelle übertragen wird, dann nimmt die Zerstörungswirkung auf ein Objekt m it der Entfernung sehr stark ab, denn für die Zerstörung ist der Impuls je Flächeneinheit (Impulsdichte) entscheidend, und die Impulsdichte reduziert sich bei kugelförmiger Detonation mit r ' 2. Wird die Sprengstoffenergie jedoch durch eine Belegung der Ladung übertragen, so ist trotz des schlechten Wirkungs­ grades bei dieser Übertragung auf größere Entfernung die Impulsdichte für die Querschnittsfläche des Belegungselementes wesentlich höher. Natürlich tr itt diese hohe Impulsdichte nur in einem geringen Anteil des gesamten Raumwinkelbereiches um die Ladung auf. Die im Voran­ gegangenen beschriebene Splitterladung ist letztlich genau so unter diesem Gesichtspunkt zu verstehen wie die hier zu erläuternden Hohlladungen. 55

Es lassen sich in grober Unterteilung drei Arten von Ladungen unterscheiden, bei denen in definierter Weise eine Energieübertragung vom detonierenden Sprengstoff auf die Belegung stattfindet: sprengstoffbeschleunigte Geschosse, Flachkegel-Hohlladungen und Spitzkegel-Hohlladungen. Bei den sprengstoffbeschleunigten Geschossen (s.S. 63) wird die Belegung bei der Detonation ohne wesentliche Verformung beschleu­ nigt. Die Impulsdichte ist hier am geringsten. Die Belegung der Flachkegel-Hohlladung ist so gestaltet, daß sie sich unter der Detonationswirkung zu einem länglichen Projektil verformt; sie verringert also ihren Querschnitt, was zu einer Erhöhung der Impulsdichte führt. Die Spitzkegel-Hohlladung schließlich zeichnet sich durch eine Belegung aus, die nach der Beschleunigung durch die Detonation „kollapsiert", wobei ein Teil der Belegung seinen ursprünglichen Impuls in großem Umfang an den Rest abgibt. Diese Restbelegung hat dann bei kleinem Querschnitt eine extrem hohe Geschwindigkeit, also eine sehr günstige Impulsdichte. Die wichtigsten Merkmale und Eigenschaften dieser Ladungen, unter denen die Spitzkegel-Hohlladung die verbreitetste ist, sollen im folgen­ den angegeben werden. Historisch gesehen, läßt sich die Hohlladung bis auf den Monroe-Effekt zurückverfolgen, zu dem es aber wahrscheinlich noch Vorläufer gibt. MONROE fand 1888, daß der Abdruck der senkrecht gegen eine Stahlplatte detonierenden zylindrischen Sprengstoffladung wesentlich tiefer ist, wenn die Ladung an der der Stahlplatte zugewandten Stirnseite eine kegelförmige Ausnehmung hat. In den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts wurde dann in Deutschland [27] und den USA [28] die Auskleidung der Oberfläche des konischen Hohlraumes der Ladung entdeckt. Wenn die Ausnehmung mit festen Werkstoffen, vorzugsweise Kupfer, Silber oder Gold von 1 bis 2 mm Wandstärke belegt ist, dann kann die bei der Sprengung erzeugte Lochtiefe gegenüber der MonroeLadung um ein Vielfaches gesteigert werden. Diese Entdeckung führte zu ausgedehnten Forschungs- und Entwicklungsarbeiten, deren Ergebnis die heute vorliegende Vielzahl von panzerbrechenden Wirkteilen bei Projektilen unterschiedlichster A rt ist. Als Auskleidungs- (Einlage-) Formen sind bei rotationssymmetrischen Hohlladungen Kalotten, flaschenförmige Geometrien und gerade Kegel verwendet worden. Heute haben im wesentlichen die geraden Kegel mit einem Öffnungswinkel < 90° Bedeutung. Das Kegelmaterial ist Kupfer, das zum Schutz gegen Korrosion verzinkt oder cadmiert wird. 56

Den prinzipiellen Aufbau einer Spitzkegel-Hohlladung zeigt Bild 120.

Übertrag ung slad ung Detonator V\

\\^ ^ \\ \ N

^ V N\ S\ \ \ \ \ \ \ V

V -\ K \\\\\\W V \\\N

Inertkörper Hauptladung

Einlage Bild 120.

Spitzkegel-Hohlladung, prinzipieller Aufbau.

Der Einlagekegel ist von der Hauptladung, die vorzugsweise aus TIMT/Hexogen oder TNT/Oktogen besteht, umgeben. Daran schließt sich die Übertragungsladung und der Detonator an. Zur optimalen Lenkung der Detonationswelle wird häufig in die Ladung ein Inert­ körper mit geringer Schallgeschwindigkeit oder starker Stoßdämpfung eingefügt. Die Auslegung der Ladung im einzelnen ist jeweils an die gegebenen Forderungen hinsichtlich Gewicht und Außenmaßen anzugleichen. Die Wirkungsweise der Hohlladungen sei anhand von Bild 121 erläutert, das eine schematisierte Momentaufnahme darstellt. Unter der Wirkung der streifend einfallenden Detonationswelle werden die Einlageelemente bei einem Druck von mehr als 105 bar so beschleunigt, daß sie in der Ladungsachse Zusammentreffen. Die von der Detonation erfaßten Einlagebereiche sind nahezu geradlinig abge­ knickt und bilden mit der Ladungsachse den Winkel ß, der über die gesamte Ladungsentwicklung praktisch konstant ist, wie u.a. TRINKS aus Röntgenblitzaufnahmen nachweisen konnte. Die in der Mitte der Ladung zusammenschlagenden Einlageelemente teilen sich nun auf in den Stachel, der mit Geschwindigkeiten von bis zu 105 m/s aus dem Ladungshohlraum austritt, und den Stößel, der nur einige 102 m/s Geschwindigkeit in der gleichen Richtung hat. Die panzerbrechende Wirkung der Ladung wird von dem Stachel hervorgerufen, der Stößel trägt dazu nicht bei. 57

Die Erklärung für die Impulsaufteilung beim „Kollaps” der Einlage­ elemente wurde durch BIRKHOFF u.a. [29] aufgrund hydrodynami­ scher Überlegungen gegeben. Dabei wird eine konstante Fortpflanzungs­ geschwindigkeit des Kollapspunktes vorausgesetzt, d.h. der Vorgang ist in bezug auf diesen Punkt stationär. Dann fließen die Einlageelemente in den Kollapspunkt ein und teilen sich so auf, daß der Gesamtimpuls erhalten bleibt. Die Ergebnisse dieser Theorie stimmen mit experimentellen Werten recht gut überein. Das sollte jedoch nicht zu der falschen Meinung führen, als ob das Einlagematerial z.B. im Stachel (früher auch als Strahl, in der angelsächsischen Literatur „je t", bezeichnet) im flüssigen oder gar gasförmigen Zustand vorläge. Die wichtigen Formeln für die Hohlladung werden nachfolgend — bezogen auf eine ebene Geometrie — angegeben. Für die rotations­ symmetrische Geometrie zeigen die Zusammenhänge eine ähnliche Tendenz, sind jedoch komplizierter. Die Geschwindigkeiten ergeben sich zu vstachel = o Sin(?~a) cos a

f - r - L + cot ß + tan -1 (0-a) 1 (43) *- sin p z J

und vstößel = D ~ 6 5 r i ^ [ ü V ' 001 0 - tan \ (0- a) ] 58

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